Interviews schreiben

Wenn Sie ein Interview geführt haben, war das zwar der kommunikative Höhepunkt des Interviewprozesses. Die Qualität des Textes ist aber noch lange nicht entschieden. Lesen Sie hier, wie Sie Interviews schreiben, sodass sie gut (oder schlecht) werden

Gesprächsstoff ist Rohstoff, veredeln Sie ihn!

Manche Interviewer verarbeiten ein schwaches Gespräch zu einem guten Interviewtext. Und auch das Gegenteil passiert. Die wichtigsten Gründe dafür

Verkannte Antwortinhalte

Dem Interviewer fehlt Sachkenntnis oder Empathie für den Tenor der Antworten, weshalb er spannende Themen und Aussagen des Interviewpartners eliminiert.

Fehlende Stringenz

Der Interviewer merkt nicht, dass seine verschriftlichten Antworten keine Antworten auf die davor stehenden Fragen sind.

Monologisierende Passagen

Die einzelnen Antworten und/oder Fragen sind zu lang, so dass der Text im wahrsten Sinne des Wortes lang-weilig wird.

Null Spannung

Der Interviewer präsentiert sich im Interviewtext lediglich als Stichwortgeber für Expertenwissen, obwohl auch eine Dramaturgie und Atmosphäre geplant war.

Komplizierte Sprache

Der Interviewer übernimmt unkritisch die Wortwahl des Befragten, was den Interviewtext beispielsweise wegen vieler unerklärter Fachwörter, Abkürzungen und Anglizismen für das Zielpublikum schwer verständlich macht.

So texten Sie Interviews druckreif

Für informative, kurzweilige Interviewtexte gelten dieselben Regeln wie für andere journalistische Beiträge. Fünf Stilmittel

Fassen Sie sich und den Gesprächspartner kurz

Die meisten Frage-Antwort-Passagen in einem Interviewtext sollten 300 bis 700 vielsagende Zeichen lang sein. Je länger eine Frage oder Antwort ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Leser aus dem Text aussteigt. Denn Interviewleser wollen Dialoge statt Monologe.

Kreieren Sie Tempowechsel für die Leser

Die einzelnen Frage-Antwort-Passagen sollten in ihrer Kürze variieren, damit das gefühlte „Texttempo“ variiert. Das trägt dazu bei, dass Interviewtexte kurzweilig werden. Wenn das Gros der einzelnen Frage-Antwort-Passagen zwischen zum Beispiel 300 und 700 Zeichen variiert, kann ausnahmsweise auch mal eine 1000-Zeichen-Passage dazwischen stehen.

Bringen Sie Beispiele für mehr Verständlichkeit

Noch mehr Abwechslung, aber auch Verständlichkeit bringen Sie in den Text, wenn Sie insbesondere trockenes Expertenwissen mit Beispielen veranschaulichen. Wenn der Interviewte kein Beispiel genannt hat (weil Sie ihn nicht danach gefragt haben?), rufen Sie ihn an und erfragen ein passendes Beispiel im Nachhinein.

Bringen Sie Emotionen in den Text

Wenn Interviewtexte neben interessanten Fakten auch echte Emotionen wie Verärgerung („Das ärgert mich!“) oder Freude („Das finde ich richtig klasse!“) transportieren, kommt Atmosphäre aufs Papier und die Leser fühlen mit dem Gesprächspartner mit.

Nicht nur an den Leser denken

Wenn Sie beim Verschriftlichen die Interessen des Interviewten mit Augenmaß berücksichtigen, wird er bei der Autorisierung des Interviewtextes weniger verändern, als wenn Sie (berechtigte) Interessen von ihm unreflektiert Ihrem Interesse (also dem Ihrer Leser) opfern. Denken Sie bei der Verschriftlichung auch daran, dass Sie Aussagen des Interviewten nicht sinnentstellend verändern dürfen. Manchmal verfälschen Interviewtexter bestimmte Aussagen ihrer Gesprächspartner trotzdem, um sie effektvoller für ihre Leser zu machen. Fairness geht anders.

Fazit

Da die meisten Interviewpartner weit davon entfernt sind, druckreif zu sprechen, brauchen Sie Einfühlungsvermögen, Kompromissbereitschaft, Schreibkompetenz und überzeugende handwerkliche Begründungen für die Veränderung des Originalgesprächs.

Der Schriftsteller Joseph Conrad sagte:

„Das Ziel des Schreibens ist es, andere sehen zu machen.“. Versuchen Sie, diese Worte beim Verschriftlichen von Interviews zu beherzigen.

 

Autor: Mario Müller-Dofel, Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“