Einsilbige Interviewantworten: Willy Brandt vs. Nowottny (Tagesschau)

Beim Austausch mit WDR-Journalist Friedrich Nowottny im Jahr 1972 fallen die Interviewantworten von SPD-Kanzler Willy Brandt maximal einsilbig aus.

SPD-Kanzler Brandt: „Ja… Doch… Nein… Ja.“

Im Jahr 1972: Journalist Friedrich Nowottny interviewt SPD-Ikone Willy Brandt für die Sendung „Tagesschau“. Die Interviewantworten des damaligen Bundeskanzlers sind so einsilbig, dass dieses kurze Interview legendär wurde.

Jahrzehnte später erklärt Journalist Nowottny in diesem Video, warum sein Interviewpartner „beleidigt“ war: Willy Brandt hatte kurz vorher Georges Pompidou, den damaligen französischen Präsidenten getroffen. Diese erste deutsch-französischen Konsultation stufte der SPD-Kanzler Brandt – durchaus zu Recht – als wichtiges politisches Ereignis ein. Mit dem anschließenden WDR-Gespräch war Brandt aber offenbar überhaupt nicht einverstanden, seine Interviewantworten fielen denkbar kurz aus.

Ungünstige Interview-Bedingungen

Die geplante Kürze des Tagesschau-Interviews, rund anderthalb Minuten, hielt Brandt angesichts der historischen Bedeutung dieses Treffens für gar nicht angemessen, glaubt Nowottny im Rückblick. Denn Sozialdemokrat Brandt zeigte sich geradezu eingeschnappt über diese zeitliche Beschränkung. Auch weil der WDR-Journalist im weiteren Verlauf ihm nur geschlossene Fragen stellte, antwortete der Kanzler maximal einsilbig nur mit “ja”, “nein” und “doch”. Dabei unterließ Nowottny es, weiter nachzuhaken.

Anschauliches Negativbeispiel

Als anschauliches Exempel gilt das Gespräch deswegen, weil es demonstriert, wie Fragesteller ein Interview nicht oder zumindest nur eingeschränkt führen sollten: mit geschlossenen Fragen. Diese zielen zum einen auf zugespitzte Interviewantworten des Gegenübers ab. Zum anderen ist der Fragsteller geradezu aufgefordert, im Anschluss nachzufassen, um dem Publikum einen inhaltlichen Mehrwert  zu bieten. Dagegen eignen sich offene Fragen vor allem zu Beginn eines Gesprächs, um eine Beziehung mit dem Interviewpartner aufzubauen. Bei sogenannten Vielrednern besteht hier jedoch die Gefahr, dass Interviewer die Initiative abgeben.

Kurz angebundenen Kanzler gut verkraftet

Entmutigt hat das Ganze Nowottny jedenfalls nicht: Er blieb Journalist, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde im Jahr 1985 sogar WDR-Intendant. Auch trübte das missglückte Interview das Verhältnis beider Protagonisten keineswegs: Friedrich Nowottny bekam zu seinem 50. Geburtstag einen handgeschriebenen Glückwunschbrief von Bundeskanzler Brandt zugesandt. Hier sehen Sie das Original-Interview mit Willy Brandt (ab Minute [0:32] bis [0:58]) und den rückblickenden Kommentar des Alt-Journalisten Nowottny.