ZEITmagazin-Chefredakteur Christoph Amend im Interview

„Es geht um das Talent, auf Menschen zuzugehen“

Im ZEITmagazin, auf der letzten Seite, steht jede Woche ein Interview der Reihe „Das war meine Rettung“. Warum Chefredakteur Christoph Amend dafür regelmäßig einen renommierten Psychologen und eine bekannte Fotografin mit den Geretteten sprechen lässt, erklärt er im Gespräch.

Von Mario Müller-Dofel*

Die Reihe  „Das war meine Rettung“ soll zeigen, wie prominente Menschen mit Krisen oder anderen Extremsituationen umgegangen sind und was sie in ihnen ausgelöst haben. „Daraus können Leserinnen und Leser lernen, ohne dass es didaktisch wird“, sagt ZEITmagazin-Chefredakteur Christoph Amend.

Zeitmagazin - Christoph Amend - Interview
Christoph Amend: Freut sich über gute Interviews (Foto: Milena Carstens)

Die Gespräche führen abwechselnd ZEIT-Literaturchef  Ijoma Mangold, die Fotografin  Herlinde Koelbl und der Psychologe  Louis Lewitan. Zwei ungelernte Journalisten als Interviewer in einem Qualitätsmedium – das gibt‘s selten und ist Anlass für ein Gespräch mit Mario Müller-Dofel.

Mario Müller-Dofel: Herr Amend, warum lassen Sie für „Das war meine Rettung“ zwei Nicht-Journalisten ans Werk?

Christoph Amend: Herlinde Koelbl und Louis Lewitan haben beide ein feines Gespür für Gesprächsführung. Louis Lewitan ist ein renommierter Stressexperte und Coach, Herlinde Koelbl hat als Fotografin viel beachtete Foto- und Interviewprojekte realisiert, zum Beispiel ihr berühmtes Buch „Spuren der Macht“ oder die Reihe mit jüdischen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur. Herlinde Koelbl und Louis Lewitan werden von ihren Interviewpartnern anders gesehen als wir klassischen Journalisten, deshalb bekommen sie einen anderen Zugang zu Menschen. Wobei das übrigens auch Ijoma Mangold ausgezeichnet gelingt, dem Dritten im Bunde.

Anders – was bedeutet das genau?

Die Interviewpartner von beispielsweise Louis Lewitan wissen, dass sie mit einem bekannten Psychologen sprechen. Das ist selbst für Menschen, die oft interviewt werden, etwas Besonderes. Und wer mit einem Psychologen spricht, macht das in aller Regel, um sich zu öffnen, um in sich hineinhorchen zu lassen, um sich helfen zu lassen. Ein Psychologe genießt also einen Vertrauensvorschuss, während sich ein Journalist das Vertrauen zumeist erst erarbeiten muss.

Fragt Lewitan auch „anders“?

Als Psychologe und Coach ist er darin geschult, Stimmungen bei Gesprächspartnern besonders sensibel wahrzunehmen. Entsprechend sensibel kann er den Wortlaut und die Tonalität seiner Fragen anpassen, um bestimmte Erkenntnisse herauszufordern. Er ist auch in der Lage, einiges von sich preiszugeben, ohne eitel zu wirken

Wann macht er das?

Wenn er merkt, dass ein Interviewpartner vielleicht nicht sofort alles erzählen möchte, was für das Interview wichtig wäre. Dann fällt es dem Interviewten oft leichter, auch von sich zu berichten.

Was ist das Besondere an Herlinde Koelbl?

Das habe ich selbst erlebt, als sie mich für ein Interviewbuch interviewt hat. Sie bahnt sich einen besonderen Zugang zu ihren Gesprächspartnern, indem sie zum Beispiel erst einmal ausführlich darüber redet, wie sie jemanden sieht und zeigen möchte. Dabei diskutiert sie mit ihrem Gegenüber darüber, warum sie ihn auf eine bestimmte Art zeigen möchte. Diese Transparenz führt zu einer Vertraulichkeit. Und natürlich ist Herlinde Koelbl auch längst so bekannt, dass sich von ihr Interviewte auch für sie interessieren.

Weil sie eine hochgelobte Vertreterin der Kunst ist. Interessiert sich auch jemand für die Persönlichkeit des „Psycho-Doktors“?

Oh ja, Louis Lewitan ist ja auch als Coach von Managern bekannt geworden, die sich natürlich besonders für ihn interessieren. Wobei viele Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen in ihrem Beruf etwas managen müssen – vom Musiker bis zum Galeristen. Lewitan und Koelbl haben auf ihre Art ein besonderes Talent dafür, auf Menschen zuzugehen und eine Gesprächsatmosphäre zu erzeugen, in der Interviewte über sich erzählen wollen. Offenheit und Vertrauen sind wichtig, wenn es um existenzielle Themen wie in „Das war meine Rettung“ geht.

Im ZEITmagazin erscheint auch die Interviewreihe „99 Fragen an …“ mit Interviewer Moritz von Uslar. Was läuft dort anders?

Es ist eine ganz andere Form des Gesprächs, es geht um Schlagfertigkeit, auch um unterhaltsame Provokation. Und Moritz von Uslar entlockt bei „99 Fragen an …“ seinen Gesprächspartnern durch seine einmalige Art eben auch besondere Äußerungen.

Ist „Das war meine Rettung“ das Gegenteil der „99 Fragen“, nämlich eine Kooperation?

Nein, die Rollen Interviewer-Interviewter sind auch hier immer klar. Aber die Gespräche werden weniger konfrontativ geführt. Letztlich geht es Ijoma Mangold, Louis Lewitan und Herlinde Koelbl darum, von ihren Gesprächspartnern etwas Persönliches zu erfahren.

Hat die ZEIT-Redaktion widerspruchslos hingenommen, dass zwei Nicht-Journalisten für „Das war meine Rettung“ interviewen dürfen?

Wir haben das Konzept für die Reihe mit mehreren Kollegen aus der ZEIT und dem ZEITmagazin entwickelt. Es war von Anfang klar, dass wir dafür besondere Autoren fragen wollten, und wir waren glücklich, als die drei zugesagt haben.

Wer sucht die Interviewpartner für Lewitan und Koelbl aus?

Die Interviewer schlagen Gesprächspartner vor, die Redaktion auch, und dann stimmen wir uns ab.

Ist es leicht, Kandidaten zu gewinnen?

Inzwischen fällt es uns leicht. Vor dem Start der Reihe allerdings war es kompliziert, viele haben erst einmal abgesagt, ein berühmter Schriftsteller aus Süddeutschland mit der Begründung, dass sei ihm wirklich zu sehr „Bunte“. Lustigerweise taucht er in der „Bunten“ öfter auf.

Hat er später mitgemacht?

Nein, aber wer weiß, vielleicht liest er ja unser Interview hier und sagt doch noch zu!

Interviewen Koelbl, Lewitan und Mangold ihre Interviewpartner immer Auge in Auge oder auch mal per Telefon?

Sie sind immer vor Ort.

Das ist aufwändig, zumal die veröffentlichten Texte auf nur eine Magazinseite passen müssen.

Um eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu erzeugen, muss der Befragte dem Interviewer in die Augen schauen können. Wir betreiben großen Aufwand, das stimmt, aber ich glaube, dass er mit zur Qualität der Gespräche beiträgt.

Verschriftlichen Koelbl und Lewitan die Interviews selbst?

Ja, Herlinde Koelbl und Ijoma Mangold schreiben sie immer selbst, Louis Lewitan unterstützen wir in der Redaktion. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion zu danken, die die „Rettung“ betreuen oder betreut haben: Anna Kemper, Christine Meffert, Annabel Wahba und Jörg Burger.

Welches Interview aus der Reihe hat Sie besonders berührt?

Da gab es viele! Spontan fällt mir das  Gespräch mit dem Schauspieler Ulrich Matthes ein, dessen Mutter schwer verunglückte, als sie mit ihm schwanger war. Diese Geschichte treibt ihn bis heute an, weil er mit dem Gefühl lebt, ein Leben geschenkt bekommen zu haben, bevor er auf die Welt kam. Oder das  Interview mit der Schauspielerin Inka Friedrich, die ein Regisseur mit einem einzigen Satz aus einer tiefen Lebenskrise zog: Vertragödie Dich nicht so!

Bei so viel Leidenschaft: Wann machen Sie mal die Urlaubsvertretung für Ijoma Mangold?

Pssst! Nicht, dass Sie die drei Autoren auf die Idee einer Urlaubsvertretung bringen, bislang haben wir es ohne geschafft (lacht).

Okay, dann machen wir jetzt besser Schluss. Danke!

 

* Mario Müller-Dofel ist Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“.