Interviews führen

Wenn Sie Interviews führen und Antworten Ihrer Gesprächspartner in Ihrem Sinne beeinflussen möchten, brauchen Sie Fragentechniken, mit denen Sie Einsilbige zum Reden, Vielredner auf den Punkt und Phrasendrescher zu Klartext bringen. Lesen Sie hier, wie Sie richtig und wie Sie falsch fragen

Stürmischer Interviewbeginn bei Johannes B. Kerner und Joachim Löw

„Ich kenne das journalistische ABC nicht so genau, dachte aber, man beginnt ein Gespräch mit einem positiven Einstieg.“

Prominentes Beispiel für einen klassischen Fehlstart

Wenn Sie Interviews führen, geht jedes, logisch, mit der Einstiegsfrage los. Welche Bedeutung ihr zukommen kann, zeigt folgende Episode: Nach dem Abpfiff des Fußball-Länderspiels Finnland gegen Deutschland im Jahr 2008 trafen sich TV-Moderator Johannes B. Kerner und Bundestrainer Joachim Löw zum Interview. Kerner stieg mit einer kritischen Suggestivfrage ein: „Haben Sie sich beruhigt in der Zwischenzeit? … Es war schon arg, oder?“ Darüber ärgerte sich Löw sichtlich. Kerner bohrte weiter, das Interview war nicht mehr zu retten und Löw monierte am nächsten Tag öffentlichkeitswirksam in den Medien: „Ich kenne das journalistische ABC nicht so genau, dachte aber, man beginnt ein Gespräch mit einem positiven Einstieg. Natürlich hat er (Anm.: Kerner) das Recht, so zu beginnen. Aber dann muss er damit rechnen, dass ich so reagiere.“ Der Interview-Fehlstart von Johannes B. Kerner wurde sogar von renommierten Sportjournalisten kommentiert, die der Einschätzung von Joachim Löw zustimmten.

Fragefehler leicht gemacht

Das Interview zwischen Kerner und Löw zeigt, wie Journalisten sich allein mit der Einstiegsfrage ins Abseits schwätzen können. Aber Sie können noch mehr Fragefehler machen, wenn Sie Interviews führen. Hier lesen Sie die schlimmsten

Falsche Fakten in den Fragen

Der Interviewer fragt auf Basis unkorrekter Informationen. Der Befragte ärgert sich über die schlechte Vorbereitung, distanziert sich innerlich und wird weniger kooperativ. Gute Interviews führen geht natürlich anders.

Zu viele offene Fragen

Der Interviewer stellt zu viele offene (W-) Fragen und kann den Interviewten damit nicht steuern. Dieser aber kann das Gespräch bequem in seine Richtung bringen. Dann sind es nicht mehr die Interviewer, die die Gespräche führen, sondern der Gesprächspartner hat die Interviewführung übernommen.

Unkonkret formulierte Fragen

Der Interviewer fragt unkonkret, der Gesprächspartner versteht den Kern der Fragen nicht – und antwortet zwangsläufig unkonkret. Das ist aus Interviewersicht wiederum schlechte Interviewführung.

Ungeschickte Unterstellungen

Der Interviewer fragt allzu auffällig tendenziös, weshalb der Befragte sich in die Ecke gedrängt und unfair behandelt fühlt.

Überflüssige Schlaumeierei

Der Interviewer beantwortet sich im Rahmen seiner Ausführungen seine Kernfragen selbst. Der Interviewte hätte zwar auch gern geantwortet, weiß aber nicht, was er noch beitragen soll.

Ängstliches Geplapper

Heikle Fragen beantwortet der Interviewer sich selbst, weil er Angst vor der eigenen Courage und vor negativen Reaktionen des Befragten hat. Dieser freut sich, dass er etwas anderes antworten kann. Der Interviewer kann seine eigenen Aussagen in der späteren Verschriftlichung des Gesprächs aber nicht dem Interviewten in den Mund legen.

Schlechtes Zuhören

Der Interviewer hört dem Interviewten nicht aufmerksam zu, verkennt dadurch die Antwortqualität und hakt nicht nach.

Verwirrende Satzbauten

Der Interviewer bildet komplizierte Fragesätze und verwirrt den Interviewpartner, der entsprechend verwirrend antwortet.

Aggressiver Ton

Der Interviewer fragt in einem Ton und mit einer Wortwahl, die der Gesprächspartner als aggressiv empfindet. Daraufhin macht er „dicht“.

Übersehene Signale

Der Interviewer verkennt Körpersprachesignale und geht folglich falsch mit dem Gesprächspartner um. Er trifft deshalb beispielsweise den falschen Ton oder stellt vielleicht sehr gute Fragen – aber zur falschen Zeit.

Falsche Fährte

Der Interviewer überhört Ausweichmanöver des Befragten und lässt sich so auf die falsche Fährte führen.

Die zehn wichtigsten Tipps für Ihre Fragetechniken

Mit guter Vorbereitung, Empathie und den folgenden Grundregeln komplettieren Sie Ihre Fragetechniken und werden richtig gute Interviews führen. Hier stehen die wichtige Interviewtipps in Kurzform. Zu allem gibt es auf alles-ueber-interviews.de auch ausführlichere Beiträge. Stöbern Sie dafür zum Beispiel unter dem Handwerk-Menüpunkt “Basiswissen”. Oder lesen Sie etwas Ausführlicheres zu Frageformen und Stress.

Fragen Sie vom Allgemeinen zum Speziellen

Interviews führen mit der Trichterstrategie: Engen Sie das Antwortspektrum Ihres Gesprächspartners nach und nach ein, um ihn auf den Punkt zu bringen. Am Ende soll er sich nach einer geschlossenen Frage festlegen. Achtung: In der Praxis antworten die meisten Interviewpartner auf geschlossene Fragen, die eigentlich nur mit Ja oder Nein beantwortet werden können, genau so offen wie auf offene Fragen. Lassen Sie sich das nicht einfach gefallen, sondern fordern Sie – sollte es der Interviewte übertreiben – ausdrücklich, aber freundlich klare Antworten ein.

Variieren Sie die Frageformen

Für eine erfolgreiche Fragestrategie gibt es kein Patentrezept. Zu unterschiedlich sind Interviewpartner und Gesprächsumstände. Wichtig ist, dass Sie die unterschiedlichen Fragformen – Motivationsfragen, Prognosefragen, Provokationsfragen, Alternativfragen, Konkretisierungsfragen, Suggestivfragen usw. – gezielt und flexibel einsetzen. Learning by doing lautet hier die Devise. Erfolgreich sind Sie, wenn Sie wahrheitsgemäße Antworten erhalten, die genug Stoff für ein informatives, kurzweiliges und zielgruppengerechtes Interview hergeben.

Sprechen Sie so, wie Sie es vom Interviewten erwarten

Was Sie von Ihrem Interviewpartner erwarten, zum Beispiel klare und verständliche Antworten, sollten Sie auch selbst erfüllen. Stellen Sie deshalb kurze und knackige Fragen, sodass der Fragekern unmissverständlich ist. (Es sei denn, Sie wollen den Gesprächspartner bewusst verunsichern.)

Lassen Sie den Befragten ausreden

Unterbrechen Sie Ihren Interviewpartner so wenig wie möglich. Sollte das Gespräch deshalb zeitlich und/oder thematisch aus dem Ruder laufen, wechseln Sie respektvoll in die Metakommunikation, bitten (klar und deutlich) um kürzere, konkrete Antworten, begründen Ihre Bitte überzeugend und lassen sich ein Commitment darauf geben.

Provozieren Sie nicht schon bei der Gesprächseröffnung

Zum Einstieg in die Frage-Antwort-Situation stellen Sie dem Interviewpartner eine relativ harmlose, offene Frage, damit er sich „locker reden“ kann. Das heißt, Sie sollten ihn nicht gleich provozieren oder mit negativen Themen konfrontieren. Bei der Verschriftlichung des Interviews kann die harmlose Einstiegsfrage erst später im Text kommen – oder gar nicht.

Geben Sie – zur Entspannung – auch mal gezielt nach

Wenn der Interviewte sich in die Ecke gedrängt fühlt und deshalb in eine Abwehrhaltung geht, wechseln Sie auf ein für ihn entspannendes Thema, damit er seine Abwehrhaltung lockert. Nach einer Zeit der Entspannung kommen Sie wieder auf die heiklen Fragen zurück.

Zitieren Sie Kritik von Dritten

Zitieren Sie Kritik am Interviewpartner von Dritten und loben ihn mit eigenen Worten. So ärgert er sich nicht über Sie, sondern über den Dritten. Von Ihnen fühlt er sich nur gelobt, was für die Gesprächsatmosphäre insbesondere in kritischen Phasen positiv ist.

Hören Sie aktiv zu

Sie sind bei jedem Satz Ihres Interviewpartners hellwach und paraphrasieren bei unklaren Antworten, um sie klarer zu machen, Ausweichmanöver aufzudecken und gegensteuern zu können.

Beherrschen Sie sich

Kontrollieren Sie Ihre Emotionen und lassen Sie sich von einem aus Ihrer Sicht unangemessenem Verhalten Ihres Interviewpartners nicht aus der (inneren) Ruhe bringen. Setzen Sie Ihre Emotionen immer gezielt ein, um das Interview in Ihrem Sinne zu beeinflussen. (In Ihrem Sinne könnte theoretisch auch eine Eskalation sein, die Sie durch bewusste Emotionalisierung provozieren.)

Hinterlassen Sie einen guten letzten Eindruck

Beenden Sie das Gespräch mit einer für Ihren Interviewpartner positiven Frage, lächeln und nicken Sie freundlich und verabschieden Sie sich respektvoll – egal wie das Interview gelaufen ist. Denn negative Stimmungen erschwären Ihnen den Autoririsierungsprozess nach der Verschriftlichung des Interviews.

Ein Sprichwort sagt:

„Wer fragt, der führt.“ Besser sollte es heißen: „Wirklich führt, wer richtig fragt“.

 

Autor: Mario Müller-Dofel, Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“