Erfundene Interviews veröffentlichen? Irion ist irritiert

Medienrechtlerin Tanja Irion klärt auf.

Bullock, Biolek und Co: Missbraucht!

Der Rechtsfall: Wenn Boulevardmedien erfundene Interviews veröffentlichen. Alle paar Monate poppen Schlagzeilen auf, weil Journalisten Interviews gedruckt haben sollen, die angeblich nie geführt worden sind. Einer der jüngeren Fälle in Deutschland war ein Interview mit der US-Schauspielerin Sandra Bullock in der „Freizeitwoche“.

Im Mai 2017

Frau Irion ist irritiert

Die renommierte Medienrechtlerin Tanja Irion weiß aus ihrer Antwaltspraxis, dass Medien mitunter erfundene Interviews veröffentlichen. Sie war zum Beispiel involviert, nachdem das Magazin „OK“ ein Interview mit der Tochter einer TV-Prominenten gedruckt hatte. Dieses Interview war laut einem Stern-Bericht über den Fall das erste Interview, das sie jemals gegeben hat und sogar „exklusiv“. Allerdings war das Interview frei erfunden und mit Facebook-Fotos bebildert.

Frau Irion, klären Sie doch mal auf: Wie landen Ihrer Erfahrung nach erfundene Interviews in den Medien? Was sagt das Gesetz dazu? Und mit welchen Konsequenzen müssen Verlage und Journalisten rechnen?

Erfundene Interviews veröffentlichen - Medienrechtlerin Tanja Irion
Anwältin Tanja Irion: Engagiert für Mediengeschädigte (Foto: Irion Medienrecht)

Dazu schreibt Tanja Irion:

„Erfundene Interviews sind deshalb so beliebt in den Medien, weil ein Interview eine große Authentizität verspricht. Die Leserschaft nimmt an, dass der Interviewte sich tatsächlich genauso geäußert hat. Anders als bei reißerisch aufbereiteten Stories zweifelt man beim Interview kaum am Wahrheitsgehalt. Das zieht bei den Lesern – und macht diese Art der Berichterstattung interessant. Außerdem gibt eine Person etwas von sich preis, was grundsätzlich interessant ist.

 

„Erfundene Interviews zu veröffentlichen ist verlockend. Da bekommt der ‚Interviewer‘ immer die Antworten, die er sich wünscht.“

 

All dies ist natürlich verlockend: Ein erfundenes Interview kostet fast nichts, ist schnell gemacht und der ‚Interviewer‘ muss sich nicht mit der Autorisierung oder anderen Regularien herumärgern. Und er hat genau die Antworten im Blatt, die er sich gewünscht hat. Oder man hat ein „Interview“ von jemandem, der grundsätzlich oder eben diesem Medium kein Interview gibt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Erfundene Interviews kommen oft von Freien. Da spielt manchmal auch der Existenzdruck, wieder einen Text verkaufen zu müssen, eine Rolle. In Ausnahmefällen gibt es auch andere Gründe. So veröffentlichte in der Türkei die regierungsnahe Tageszeitung “Takvim” 2013 unter dem Titel “Schmutzige Geständnisse” ein frei erfundenes Interview mit Christiane Amanpour. Darin bekannte die CNN-Anchorfrau angeblich, ihre Berichterstattung zu den Protesten in der Türkei sei von der Alkohol- und Öl-Lobby gesteuert. Doch rechtlich gesehen geht es so natürlich nicht. Bei erfundenen Interviews handelt e sich schließlich um gravierende Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht.

 

„Ein Meilenstein bei der Beurteilung erfundener Interviews war die Soraya-Entscheidung des Bundesgerichtshofs.“

 

Ein Meilenstein bei der Beurteilung erfundener Interviews war die Soraya-Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Ein deutsches Medium hatte 1961 ein Interview mit der persischen Prinzessin Soraya über ihr Privatleben veröffentlicht. Tatsächlich hatte nie eines stattgefunden. Prinzessin Soraya sah sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, wehrte sich und focht den Streit bis zum Bundesgerichtshof aus.

Der verklagte Verlag berief sich auf seine Pressefreiheit, die ebenso im Grundgesetz geschützt ist. Die Richter fanden klare Worte: Die Verbreitung eines frei erfundenen Gesprächs sei eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung. Dieses Recht wurde vom Bundesgerichtshof entwickelt und wird auf Art. 2 Abs. 1 (Freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) gestützt. Die Presse habe im Bestreben, die öffentliche Anteilnahme an dem Schicksal Prinzessin Sorayas geschäftlich auszuschöpfen, über ihre Person verfügt, indem sie dieser Worte in den Mund legte, die sie nie gesagt hat.

Seither steht fest, dass sich ein Presseorgan nicht auf die Pressefreiheit berufen kann, wenn es ein Interview erfindet. Denn das Allgemeininteresse an der öffentlichen Erörterung der in dem Interview behandelten Angelegenheit tritt zurück hinter der Schutzbedürftigkeit des vermeintlich Interviewten.

 

„Bei Prominenten aus dem Ausland erwarten die Redaktionen offenbar weniger Gegenwehr.“

 

Leider hat diese Entscheidung nicht dazu geführt, dass die Presse weniger frei erfundene Interviews abdruckt. Allerdings werden in den meisten Fällen Prominente aus dem Ausland ‚interviewt‘. Die Redaktionen erwarten hier offenbar eine geringere Gefahr von Gegenwehr.

Doch das ist ein Spiel mit dem Feuer. Denn juristisch ist die Lage eindeutig: Die Verbreitung stellt eine Verletzung des Persönlichkeitsrecht dar. Es besteht ein Unterlassungsanspruch. Das heißt, das Interview darf nicht erneut verbreitet und muss aus dem Internet gelöscht werden. Es bestehen auch Richtigstellungsansprüche – die Leserschaft muss informiert werden, dass das Interview erfunden war – und Geldentschädigungsansprüche wie Schmerzensgeld.

„Das Boulevard-Blatt Super-Illu musste Alfred Biolek 50.000 Euro für ein erfundenes Interview zahlen.“

Die zu zahlenden Summen sind oft recht hoch. Während sich Prinzessin Soraya mit 15.000 D-Mark begnügen musste, wurde das Boulevard-Blatt Super-Illu im Jahr 2003 verpflichtet, Alfred Biolek 50.000 Euro für ein erfundenes Interview zu zahlen. Oder Burda: Dieser Verlag musste an Prinzessin Caroline von Monaco 180.000 D-Mark zahlen – allerdings für insgesamt drei Fälle, inklusive Paparazzi-Fotos.

Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes besteht immer dann, wenn es sich um einen schweren und schuldhaften Eingriff handelt, der nicht anders kompensiert werden kann. Die Höhe wird von verschiedene Faktoren beeinflusst, etwa von

  • der Schwere der Persönlichkeitsverletzung,
  • der Auflage und Reichweite des Mediums,
  • der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Rufbeeinträchtigung des Geschädigten,
  • den Beweggründen des Rechtsverletzers usw.

Wir Rechtsanwälte wenden uns diesbezüglich in der Regel an den Verlag, da dort das Geld „sitzt“. Grundsätzlich bestehen die Ansprüche aber auch gegenüber dem vermeintlichen Interviewer. Und natürlich verstößt ein erfundenes Interview auch gegen den Pressekodex.“

Tanja Irion, geboren 1967, ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht in eigener Kanzlei in Hamburg. Sie studierte Rechtswissenschaft in Hamburg. Danach war sie Referentin beim Landesbeauftragten für den Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern und Rechtsreferendarin in Schleswig Holstein. Fünf Jahre lang amtierte sie als Bundesvorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft (DAV). Ihre Kanzlei in Hamburg gründete sie im Jahr 2000.

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