Aufdringliche Journalisten? Irion ist irritiert

Medienrechtlerin Tanja Irion klärt auf.

Journalisten können NIEMANDEN zu Interviews zwingen

„Kein Kommentar“ bekommen Journalisten häufig auf Interview- und Statement-Anfragen zu hören. Dann sind sie mitunter verärgert und drängen umso stärker auf Antworten. Das sei ihr gutes journalistisches Recht, rechtfertigen sich aufdringliche Journalisten oft – vor allem gegenüber öffentlichen Personen oder Behördenvertretern. Doch ist das tatsächlich so?

Im September 2017

Alles-ueber-interviews.de hat bei der renommierten Medienrechtlerin Tanja Irion nachgefragt: Sind nicht gerade Personen des öffentlichen Lebens verpflichtet, Interviews zu geben? Und wenn ja, wie weit reicht eine solche Verpflichtung? Oder können für Interviews oder Statements angefragte Personen auch einfach abwinken? Und dürfen Journalisten so hartnäckig auf Interviews und Statement drängen, wie sie es mitunter tun?

Fragen über Fragen. Und Irion ist irritiert. Sie sagt:

Aufdringliche Journalisten - Interviews führen
Anwältin Irion: “Negative Interviewfreiheit beachten!” (Foto: Privat)

„Zunächst einmal dazu, welche Konsequenzen es haben kann, wenn – insbesondere prominente – Personen ein Interview ablehnen: Ein bekanntes Beispiel ist Caroline von Monaco: Nachdem sie sich geweigert hatte, der Presse ein Interview zu geben, druckten deutsche Illustrierte kurzerhand erfundene Gespräche mit der Prinzessin ab. (Anm. d. Red.: Wie ein solches Vorgehen rechtlich zu beurteilen ist, steht im Beitrag „Erfundene Interviews veröffentlichen? Irion ist irritiert“. Weitere Rechtskolumnen von Tanja Irion finden Sie zum Beispiel unter diesem Text.)

Umgangene Interviewabsage

Mal abgesehen davon, dass die erfundenen Interviews das Persönlichkeitsrecht von Prinzessin Caroline verletzten, umgingen die betreffenden Journalisten auch ihre Entscheidung, keine Interviews zu geben. Ein Blatt zitierte Caroline sogar mit der erfundenen Aussage, für dieses Blatt mache die vermeintlich Interviewte „eine Ausnahme. Die Einzige.“ Tatsächlich aber widersprach diese angebliche Ausnahme Carolines Willen. Das deutsche Recht schützt diese Entschließungsfreiheit. So verhindert es, dass tatsächlich einmal jemand zu einer Ausnahme von seinem Grundsatz, keine Interviews zu geben, gezwungen wird.

Auch Spitzenpolitiker und andere öffentliche Personen sind geschützt

 

Grundsätzlich gilt nämlich, dass die Presse gegen niemanden aus gesetzlichen Regelungen einen Anspruch auf ein Interview ableiten kann. „Niemand“ meint dabei nicht nur die gewöhnliche Familie Mustermann. Das Gesetz erfasst prinzipiell auch Staats- und Regierungsmänner und -frauen sowie Personen des öffentlichen Lebens außerhalb von Regierung und Parlamenten.

Die Auskunftspflicht von Behörden beinhaltet keine Interviewpflicht

Presse und Rundfunk haben zwar einen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden. Ein Beispiel für diesen landesrechtlich geregelten Anspruch ist § 4 („Informationsrecht“) des Hamburgischen Pressegesetzes. Er lautet: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse und des Rundfunks die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.“ Allerdings ist dieser Anspruch eben lediglich darauf gerichtet, Auskunft über Tatsachen zu erhalten, die den Behörden bekannt sind.

Er erstreckt sich also aus Journalistensicht gerade nicht darauf, ein Interview zu erhalten. Denn ein Interview würde eine irgendwie geartete Kommentierung des jeweiligen Themas darstellen, was über eine bloße Auskunft schon hinausginge.

Die Entscheidung, ein Interview zu geben oder nicht, steht somit im freien Ermessen der betreffenden Person. Der juristische Begriff dafür lautet „Interviewfreiheit“. So wie dem Einzelnen die Freiheit gewährt wird, sich in einem Interview zu äußern (= positive Interviewfreiheit) wird jede Person auch in ihrem Entschluss geschützt, sich nicht äußern zu wollen (= negative Interviewfreiheit).

 

“Negative Interviewfreiheit” ist ein Grundrecht

 

Rechtliche Basis der negativen Interviewfreiheit ist die allgemeine Handlungsfreiheit, welche in Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sogar durch die Verfassung geschützt wird. Als Teilaspekt der Handlungsfreiheit hat jeder Mensch das Recht, frei zu entscheiden, wie, in welchem Rahmen und wem gegenüber er sich öffentlich äußert.

Bestünde für jedermann eine Verpflichtung, sich zu Interviews bereit zu erklären, wäre es enorm schwierig, zu kontrollieren, wie man selbst in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Gerade diese Kontrolle soll aber durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet werden, soweit es, auch vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses, eben geht. Beruft sich ein Presseorgan also auf seine ebenfalls grundrechtlich geschützte Presse- bzw. Rundfunkfreiheit, um ein Interview zu erwirken, kann dem die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmung entgegengehalten werden. Dafür bedarf es nicht einmal eines besonders einleuchtenden oder wichtigen Grundes.

Obsessiv zudringliche Journalisten könnten gesetzeswidrig handeln

Wenn ein potentieller Interviewpartner also ablehnt, macht die betreffende Person in so einem Fall jedoch lediglich von einem ihrer Grundrechte Gebrauch. Bevor man als Journalist dann zu einem erfundenen Interview greift, ist es ratsam, sich mit einem Plan B zu begnügen.

Gänzlich abzuraten ist außerdem von allzu hartnäckigen und aufdringlichen Versuchen, ein Interview zu erlangen. Sollten Journalisten nämlich in ganz extremen Fällen zu obsessiv werden, kann sich der Betroffene belästigt fühlen. Dann wäre nicht auszuschließen, dass ein solches Verhalten strafrechtlich relevant würde. Darüber hinaus dürfte auch ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen zudringliche Journalisten bestehen.“

Tanja Irion, geboren 1967, ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht in eigener Kanzlei in Hamburg. Sie studierte Rechtswissenschaft in Hamburg. Danach war sie Referentin beim Landesbeauftragten für den Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern und Rechtsreferendarin in Schleswig Holstein. Fünf Jahre lang amtierte sie als Bundesvorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft (DAV). Ihre Kanzlei in Hamburg gründete sie im Jahr 2000.

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