Zitatrecht: Unerlaubtes Zitieren aus Exklusiv-Interviews? Irion ist irritiert

Medienrechtlerin Tanja Irion klärt auf.

Zitatrecht: Wann Zitieren aus Exklusiv-Interviews (nicht) erlaubt ist

Viele Autoren zitieren aus Exklusiv-Interviews und bedienen sich dabei gerne am Zitatmaterial anderer Interviewer. Damit muss sich mitunter sogar der Bundesgerichtshof (BGH) befassen – wie im unten erläuterten Fall SAT.1 gegen VOX. Denn einfach Zitate zum eigenen Vorteil wiederkäuen – das kann gegen das Zitatrecht verstoßen. Medienrechtlerin Tanja Irion erklärt, warum.

Im Oktober 2017  

Unerlaubtes Zitieren - Medienrecht Tanja Irion
Anwältin Irion: “Zitieren ist nicht gleich Zitieren.” (Foto: Privat)

Am 7. September 2017 hat das Landgericht Hamburg dem TV-Format „Panorama“ des NDR verboten, eine kurze Sequenz Filmmaterial von Spiegel TV zu verwenden. Das Material wurde während des G20-Gipfels aufgenommen und zeigt den Angriff eines Polizeibeamten, den ein Spiegel-Journalist aufgenommen hat.

Der NDR hat sich – genau wie der TV-Sender VOX im unten erläuterten Fall – auf das Zitatrecht des Urhebergesetzes (§ 51) berufen, was das Landgericht Hamburg dann im Ergebnis verneint hat. Allerdings ist das Urteil weder rechtskräftig noch liegt bislang die Urteilsbegründung vor.

SAT.1 verklagt VOX

Ein erhellender Streitfall um das Zitatrecht hat den BGH im Jahr 2016 beschäftigt. Es ging um zwei Exklusiv-Interviews des TV-Senders SAT.1 mit Liliana Matthäus, die SAT.1 in seinem Promi-Magazins “Stars & Stories” ausgestrahlt hatte. Jeweils nur wenige Tage danach waren Ausschnitte dieser Exklusivinterviews erneut gezeigt worden, diesmal jedoch im Boulevard-Programm „Prominent!“ des Konkurrenzsenders VOX.

Das Problem dabei: VOX hatte zwar bei SAT.1 angefragt, ob es die Sequenzen im eigenen Programm zeigen darf. Dies aber hatte SAT.1 abgelehnt. VOX sendete die Ausschnitte trotzdem – und blendete dazu „Quelle: SAT.1“ ein. Daraufhin klagte SAT.1 gegen VOX [BGH, Urteil vom 17.12.2015 – I ZR 69/14].

Frau Irion, dürfen Medien einfach aus Interviews anderer Medien zitieren und wann verstößt man gegen das Zitatrecht?

Irion ist irritiert und erläutert (klickt auf die Pluszeichen, um die Erläuterungen aufzuklappen):

Was im juristischen Sinne ein Exklusiv-Interview ist

Das besondere bei einem Exklusivinterview ist, dass die Rechte zur umfassenden, kommerziellen Auswertung alleinig beim Interviewer bzw. dem Medium liegen, in dem er veröffentlicht.

Was das Urheberrecht dem Exklusiv-Interview(er) zugesteht

Solche Zitate-Klau-Fälle unter Journalisten werfen die Frage auf, wie stark der Schutz von Exklusiv-Interviews eigentlich ausgeprägt ist. Die Antwort gibt das Urheberrecht:

  • Danach darf immer ausschließlich der Schöpfer eines Werkes darüber bestimmen, wie und von wem es verwendet wird.
  • Das Urheberrecht honoriert damit die Leistung eines Journalisten, ein Exklusivinterview ergattert zu haben. Ein Anderer darf es daher nicht einfach für eigene Zwecke verwenden.

Wann der Exklusiv-Interview-Schutz bröckelt

Allerdings: Ausnahmsweise kann eine eingeschränkte Nutzung erlaubt sein. Aber wann? Wie in vielen Rechtsbereichen lässt sich hierzu keine pauschale Aussage treffen. Vielmehr gilt: Es kommt drauf an. Denn Gesetz und Rechtsprechung schließen nicht kategorisch aus, dass von einer anderen Person geführte Interviews im Rahmen der eigenen Berichterstattung genutzt werden. Sie knüpfen die Verwendung freilich an bestimmte Voraussetzungen:

  • Relevant werden in diesem Zusammenhang insbesondere die sogenannten Schranken der § 50 und § 51 des Urhebergesetzes (UrhG), welche den urheberrechtlichen Schutz einschränken (daher die Bezeichnung als „Schranke“).

Warum Interview-Relevanz die Interview-Exklusivität übertrumpfen kann

§ 50 UrhG („Berichterstattung über Tagesereignisse“) legt fest, dass „[z]ur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, [.] die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig [ist].“

Diese Regelung soll die Information der Öffentlichkeit und die vom Grundgesetz in Art. 5 geschützte Meinungs- und Pressefreiheit gewährleisten. Im Klartext: Die schlichte Tatsache, dass ein Medium besonders schnell war, soll nicht zu einer kompletten Berichterstattungssperre bezüglich des jeweiligen Ereignisses für andere Medien werden, wenn die Information relevant für die Allgemeinheit ist.

In welchem Umfang eine Zitat-Verwendung zulässig ist

In welchem konkreten Umfang die Verwendung zulässig ist, hängt vom Einzelfall und insbesondere vom  verfolgten Zweck der Berichterstattung ab. Vor allem ist relevant, ob derjenige, der das fremde Material nutzen möchte, die Möglichkeit hatte und es ihm zumutbar war, beim Urheber anzufragen, ob dieser mit einer Nutzung einverstanden wäre. Unzumutbar kann eine solche Nachfrage zum Beispiel dann sein, wenn in der konkreten Situation besonderer Zeitdruck besteht, wie es ja insbesondere bei Berichterstattung über tagesaktuelle Ereignisse nicht selten der Fall ist.

Welche kleine, aber feine Finte der § 50 UrhG enthält

In § 50 UrhG versteckt sich allerdings eine Finte: Die urheberrechtlich geschützten Leistungen selbst stellen gerade nicht das aktuelle Tagesereignis dar. Stattdessen spricht § 50 UrhG von „Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, […]“. Das Gesetz unterscheidet also zwischen dem Tagesereignis einerseits und dem Bericht über das Tagesereignis (= dem Werk) andererseits.

Übertragen auf die Verwendung fremden Exklusiv-Interview-Materials bedeutet das:

  • Wer lediglich das Interview selbst zum Gegenstand seiner Berichterstattung macht, wird nicht mehr von § 50 UrhG erfasst, wenn er Ausschnitte übernimmt.
  • Andersherum unterfällt § 50 UrhG für alle, die sich zum Beispiel darauf berufen können, dass die bloße Tatsache, dass dieses Interview überhaupt geführt wurde, ein tagesaktuelles Ereignis darstellt. Insofern ist also besonderes Fingerspitzengefühl gefragt.

Warum Journalisten eigene Artikel mit fremden Zitaten nicht nur „schmücken“ sollten

Die andere Schranke, § 51 UrhG („Zitate“), lautet in Absatz 1 Satz 1: „Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.“

Die wenig aussagekräftige Gesetzesformulierung, es müsse ein Zitatzweck vorliegen, präzisiert der BGH im „SAT.1 gegen VOX – Fall“ dahingehend, dass eine „innere Verbindung“ mit dem fremden veröffentlichten Werk hergestellt werden müsse.

  • Eine derartige Verbindung entsteht etwa, wenn zunächst zitiert und dann eine eigene, darauf bezogene Beurteilung vorgenommen wird.
  • Wer dagegen seinen eigenen Artikel lediglich mit einem Zitat aus einem fremden Werk schmücken will, ohne sich näher damit auseinanderzusetzen, der dürfte schnell in Konflikt mit dem Urheberrecht geraten.

Was „Interessenabwägung“ im Exklusiv-Interview-Zitatrecht bedeutet

Eine zusätzliche Kontrolle nimmt die Rechtsprechung mit einer abschließenden Interessenabwägung vor. Hier wird in Fällen von Exklusiv-Interviews insbesondere relevant, ob das Zitieren den Urheber in seinen Verwertungsmöglichkeiten beeinträchtigt.

  • Das Besondere an Exklusiv-Interviews ist ja schließlich – ihr Name impliziert es – deren Exklusivität. Der Verfasser erhofft sich dadurch nicht zuletzt einen besonders umfangreichen Gewinn, erhöhte Auflagen etc.
  • Diese Erwartungen werden aber geschmälert, wenn Ausschnitte des eigenen Interviews beim Konkurrenten zu finden und somit nicht mehr exklusiv sind.
  • Ein Abwägungsfaktor ist daher der Umfang der Beeinträchtigung der Verwertung. Der kann etwa davon abhängen, ob „Schlüsselpassagen“ und/oder ob besonders umfangreich „zitiert“ wurde.

Wie der BGH im Fall SAT.1 gegen VOX entschieden hat

Vor diesem Hintergrund entschied der BGH im Fall der Exklusiv-Interviews von SAT.1 mit Liliana Matthäus, dass zwar die Anforderungen an § 50 UrhG nicht erfüllt wurden. Die Auseinandersetzung mit dem Interview ließ er jedoch genügen und nahm eine Rechtfertigung nach § 51 UrhG an, sodass dieses Zitat von Vox in diesem Fall zulässig war.

  • Der BGH hat die Urheberrechtsverletzung eigentlich bejaht. Das Gericht war aber der Ansicht, dass diese Verletzung in diesem Fall durch die Schranken des Urheberrechts gedeckt war. Insofern kam Vox straflos davon. Interessanterweise hatten sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht in Hamburg der Klage von SAT.1 vorher stattgegeben.
  • Die Folgerung: Um einer Klage wegen Urheberrechtsverletzung durch Nutzung fremden Zitat-Materials zu entgehen, sollte publizierende Personen oder Institutionen immer sicher gehen, dass auch wirklich alle anderen Möglichkeiten, auf anderem Wege an das begehrte oder an entsprechendes Material zu gelangen, erschöpft worden sind.

Warum die Tagesaktualität das schlagende Argument sein kann

Das Recht fordert dafür keine unmenschlichen Anstrengungen; gerade Einschränkungen durch Zeitnot berücksichtigt es zum Beispiel. Ungeachtet dessen sollten die Schranken der §§ 50, 51 UrhG ernst genommen werden.

  • Besonders wichtig ist daher im Rahmen des § 50 UrhG, dass es sich wirklich um ein tagesaktuelles Ereignis handelt, bei dem es journalistisch geradezu notwendig ist, dass zeitnah berichtet wird. Außerdem muss die (bisweilen schwierige) Unterscheidung zwischen dem Ereignis und dem Bericht/der Bewertung darüber getroffen werden.
  • Bei § 51 UrhG wiederum muss tatsächlich ein Zusammenhang in Form einer inneren Verbindung mit dem zitierten Werk geschaffen werden.

Als Orientierung im Zitatrecht gilt der Merkposten, dass das, was allgemeinhin unter „Zitat“ verstanden wird, nicht unbedingt mit dem juristischen Verständnis des Zitats und somit den Vorgaben des Urheberrechts übereinstimmt.

Tanja Irion geboren 1967, ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht in eigener Kanzlei in Hamburg. Sie studierte Rechtswissenschaft in Hamburg. Danach war sie Referentin beim Landesbeauftragten für den Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern und Rechtsreferendarin in Schleswig Holstein. Fünf Jahre lang amtierte sie als Bundesvorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft (DAV). Ihre Kanzlei in Hamburg gründete sie im Jahr 2000.

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