Autorisierungspraxis aus juristischer Sicht

Autorisierungspraxis - Interviews führen

„Zur Not auch vor Gericht“

Zankapfel Autorisierungspraxis: Immer wieder streiten Journalisten und ihre Interviewpartner darüber, was in Interviews tatsächlich gesagt wurde und was Journalisten für die Veröffentlichung daraus gemacht haben. Erinnern wir uns zum Beispiel an den Disput in der Interviewautorisierung zwischen dem Spiegel und dem Grünen-Politiker Jürgen Trittin, an den Ärger des Mannheimer Morgen mit AfD-Chefin Frauke Petry oder an die Freigabeverweigerung des früheren AfD-Chefs Bernd Lucke nach einem Gespräch mit dem Westfalenblatt.

Von Mario Müller-Dofel*

Vor allem Medien-Websites berichten über Streit in der Autorisierungspraxis. Dort dominieren Meinungsäußerungen von Journalisten darüber, wie die Eklats zustande kamen und wer die Schuld daran trägt. Meist überwiegen – naturgemäß – Meinungen pro Journalisten, gewürzt mit der Forderung, die Autorisierungspraxis gehöre abgeschafft. Manchmal werden zudem die Informationen zur Autorisierung des Deutschen Journalisten Verbands (DJV) zitiert. Von Journalisten kritisierte Interviewpartner argumentieren, die Autorisierung müsse bleiben, damit Journalisten nicht noch mehr Unfug mit Interviewantworten treiben können.

Autorisierungspraxis - Interviews führen
Rechtsanwältin Tanja Irion: Kennt das Autorisierungsrecht genau (Foto: Privat)

Selten zu finden ist die nüchterne juristische Einordnung der verschmähten Autorisierungspraxis. Diese Lücke schließt das folgende Interview der Presserechtlerin Tanja Irion. Die Hamburgerin vertritt seit Jahren Mandanten gegenüber Medien. Einer ihrer bekanntesten war der frühere Formel 1-Chef Max Mosley, mit dem sie 2010 durch einen spektakulären Rechtsstreit mit der BILD-Zeitung und dem Axel-Springer-Verlag ging.

Im Interview spricht Tanja Irion über erfundene Interviews, journalistische Ego-Trips, für die sie „zur Not auch vor Gericht“ ziehen muss, und über die Interviewautorisierung als Streitvermeidungsstrategie.

„Erfundene Interviews gibt’s nicht nur mit George Clooney“

Mario Müller-Dofel: Frau Irion, um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Wollen Sie meine verschriftlichte Version unseres bevorstehenden Gesprächs vor der Veröffentlichung autorisieren?

Tanja Irion: Selbstverständlich. Sie reden mit einer Presserechtlerin.

Warum so misstrauisch?

Nennen wir es vorsichtig. In Ihrer Interviewanfrage haben Sie geschrieben, dass Sie einen juristischen Blick auf die Interviewautorisierung in Deutschland werfen möchten. Und da das Recht oft ziemlich komplex ist, passieren Ihnen beim Verschriftlichen dieses Gesprächs vielleicht auch mal Fehler. Wenn wir das vor der Veröffentlichung checken, erweisen wir Ihnen, mir und den Lesern einen guten Dienst.

Kein Journalist hätte etwas gegen die Autorisierungspraxis, würden dadurch nur sachliche Fehler beseitigt. Tatsächlich formulieren manche Befragte den Interviewtext aber derart stark um, dass der Journalist sich veralbert fühlt. Sind Sie auch von dieser Art?

Veralbert ist das falsche Wort, aber: kommt drauf an.

Worauf?

Zum Beispiel darauf, ob ich mich beim Lesen Ihrer Version noch wiedererkenne.

Wann würden Sie sich nicht wiedererkennen?

Wenn Sie mir erfundene Antworten in den Mund legen würden. Und ganz sicher, wenn Sie meine Antworten verfälschten und mich – vielleicht sogar ganz bewusst – schlecht dastehen ließen.

Auf welche Art und Weise lassen Journalisten Ihrer Erfahrung nach Interviewpartner schlecht dastehen?

Nehmen wir einen realen Rechtsfall von mir: Einer meiner Mandanten hatte einem Journalisten ein Interview gegeben – und als er den veröffentlichten Text las, gab es ein böses Erwachen. Da standen etliche Ähs und Hms drin, aber auch Einschübe wie „Denkt angespannt nach“, „Lacht verlegen“ und weitere, teils falsche und negativ wirkende Interpretationen. Damit hat der Journalist meinen Mandanten aus egoistischen Gründen ganz schlecht aussehen lassen. Für meinen Mandanten hatte das negative Folgen, die über das reine Interview hinausgingen.

Es ist nicht die Aufgabe von Journalisten, ihre Interviewpartner gut aussehen zu lassen. Dafür müssen die schon selbst sorgen, oder?

Es ist auch nicht die Aufgabe von Journalisten, sich besonders gut aussehen zu lassen, obwohl sie sich im Interview genauso viele Ähs, Hms und Denkpausen geleistet haben wie der Interviewpartner. Mein Mandant fand die Printversion seines Interviews auch deshalb extrem unfair, weil der Journalist ebenfalls nicht druckreif gesprochen, seine Fragen aber im Nachhinein sehr geschickt geschliffen hat.

Ihr Mandant hatte auf die Autorisierungspraxis verzichtet?

Ja, leider. Das passiert ihm wahrscheinlich nie wieder.

Ein weiterer Punkt, den Sie soeben angesprochen hatten, war das Erfinden von Interviewantworten. Haben Sie hierfür einen Fall parat?

Sogar einen besonders krassen. Im vergangenen Jahr hatte ich ein mehrseitiges Printinterview auf dem Tisch, das komplett erfunden war. Sowas gibt’s nicht nur  mit George Clooney!

Wer hat’s erfunden?

Sage ich Ihnen nicht.

Dann wenigstens, wer das angebliche Interview gedruckt hat.

Auch das fällt unter die Schweigepflicht. Aber damit Sie Ruhe geben: Das Interview wurde von einer freien Journalistin erfunden und an ein Boulevardblatt verkauft. Es ging um ein Mitglied einer prominenten Familie, das grundsätzlich keine Interviews gibt, weil dieses Mitglied es furchtbar findet, wie andere Familienmitglieder von den Medien verfolgt werden. Eines Tages wurde dieser Mensch von einer Bekannten auf ein Interview angesprochen, dass sogar auf dem Titelblatt der Publikation angekündigt war. Darin plauderte mein Mandant scheinbar aus dem Nähkästchen über Familieninterna. Doch das war alles pure Dichtung!

Welches Programm läuft in solchen Fällen bei Ihnen ab?

Ganz grob: Medium informieren, Unterlassung, Gegendarstellung und Richtigstellung verlangen, Geldentschädigung verhandeln. Zur Not auch vor Gericht. Wir haben uns auf ganzer Linie durchgesetzt.

Wie erging es der Interview-Erfinderin?

Das weiß ich nicht, weil mein Ansprechpartner das Medium ist. Dieses wiederum kann den Journalisten in Regress nehmen. Allerdings ging es im genannten Fall um eine finanzielle Größenordnung, mit der ein Normalverdiener wahrscheinlich überfordert ist.

„Die Strafzahlungen für solche Verletzungen der Privatsphäre schrecken kaum ab und werden von den Verlagen eingepreist.“

Hat sich die finanzielle Entschädigung für Ihren Mandanten gelohnt?

Tja… „lohnender“ Schadenersatz ist in Deutschland leider selten. Auch wenn ich kein Verfechter der amerikanischen Entschädigungspraxis bin: Schwere Fehler – oder solche, die die Verursacher sehenden Auges eingehen – sollten wehtun. Jeder Verlag weiß zum Beispiel, dass bestimmte Paparazzi-Fotos unzulässig sind. Ich hatte mal eine Mandantin, die von einem Fotografen einen Tag lang durch ganz Zürich verfolgt wurde, weil der ein Tagesprofil von ihr erstellen sollte. Im Medium wurde dann gezeigt, mit wem sie sich gegen 11 Uhr ein spätes Champagnerfrühstück gegönnt hat und so weiter. Die Strafzahlungen für solche Verletzungen der Privatsphäre schrecken kaum ab und werden von den Verlagen eingepreist.

Vorhin nannten Sie verfälschte Antworten als eine dritte Ursache von Verstimmungen oder gar Rechtsstreitigkeiten. Wie verfälschen Journalisten aus Ihrer Perspektive die Aussagen von Gesprächspartnern?

Nehmen wir jetzt mal unser Gespräch. Aus dem, was ich Ihnen gerade erzähle, machen Sie danach einen lesbaren Text. Dabei werden Sie viele Antworten kürzen, pointieren und vielleicht sogar die Gesprächschronologie umstellen, um es interessanter zu machen…

Sie sprechen schließlich nicht druckreif.

Akzeptiert, zumal Sie mir diese Arbeitsweise angekündigt haben. Aber manchmal entstellen Sie bei der Textarbeit vielleicht den Sinn meiner Antworten, sodass bestimmte Zusammenhänge unklar oder gar falsch rüberkommen. Das ist ein sehr verbreitetes Problem, weil Menschen häufig in Gesprächen nur das hören, was sie hören wollen. Um mich davor zu schützen, muss ich Ihre journalistische Leistung vor der Veröffentlichung prüfen und eventuell Dinge richtig stellen – auch wenn Ihnen das missfällt, weil dadurch Ihre Story möglicherweise weniger dramatisch wird. Der Geschädigte wäre ansonsten ich. Die Autorisierungspraxis ist schon deswegen sehr vernünftig.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wann ein Zitat falsch rüberkommt?

Nehmen wir an, ein Politiker sagt Ihnen im Interview: „Man kann wegen der Flüchtlinge drei Meter hohe Stacheldrahtzäune um Deutschland ziehen. Manche Leute fänden das in Ordnung. Ich persönlich fände es furchtbar und undenkbar.“ Würden Sie bei der Verschriftlichung den dritten Satz weglassen, hätten Sie die ersten zwei Sätze zwar original zitiert, aber dennoch den Antwortsinn völlig entstellt. Gegen eine solche Praxis können sich Interviewte mit guten Erfolgsaussichten wehren, selbst wenn keine Autorisierung vereinbart war. Laut Bundesgerichtshof haben Interviewte einen Anspruch auf richtige und vollständige Berichterstattung.

In diesem Beispiel ist die Sinnentstellung deutlich identifizierbar. Und wenn es diffizil wird?

Im Presserecht muss jeder Fall einzeln angeschaut werden. Da gibt es keine Standards wie bei Urlaubsreisemängeln. In den meisten Fällenbeugt die Autorisierungspraxis Rechtsstreitigkeiten vor.

Eine häufige Journalistenkritik lautet, dass Interviewte die Autorisierungspraxis missbrauchen, um ihre Antworten im Nachhinein in manipulatives PR-Deutsch zu kleiden. „Zensur“ lautet ein Synonym dafür.

Mag sein, dass manche Interviewpartner dies tun. Bei mir können Sie diesbezüglich entspannt bleiben, ich stehe für Fairness. Mit der juristischen Brille betrachtet: Wenn eine Autorisierung vereinbart wurde, hat der Interviewte das Recht auf das letzte Wort zu seinen Antworten. Dann kann er sie auch im Nachhinein ändern.

„Die Aufregung um die Autorisierungspraxis wird sich in Grenzen halten, wenn beide Seiten handwerklich korrekt und mit Augenmaß vorgehen.“

Wie kann das Medium dagegenhalten?

Indem es verhandelt und – wenn eine Einigung misslingt – die Veröffentlichung des Interviewtextes verweigert. Allerdings wird sich die Aufregung um die Autorisierungspraxis in Grenzen halten, wenn beide Seiten handwerklich korrekt und mit Augenmaß vorgehen. Und das ist in der Praxis doch meistens der Fall.

Würden Sie dennoch jedem Interviewpartner zu einer Autorisierung raten?

Unbedingt. Und zwar nachweislich schriftlich vereinbart.

Haben Interviewte ein gesetzliches Recht auf Autorisierung?

Nein, nicht grundsätzlich, sondern nur dann, wenn sie vor dem Interview oder am Anfang des Gesprächs vereinbart wurde. Das haben wir beide ja auch gemacht.

Ich kann mich gar nicht erinnern.

Na, na! Im Prinzip haben wir beide vor dem Gespräch einen Interviewvertrag geschlossen, der Sie verpflichtet, mir Ihre Version vor der Veröffentlichung vorzulegen und mir das letzte Wort zum Text überlassen.

Okay, ehe Sie mich verklagen… Hätten Sie auch dann einen Anspruch darauf, wenn Sie Ihren Autorisierungswunsch erst nach dem Interview erwähnt hätten?

Nein, dann hätte der originale Wortlaut gegolten. Das heißt, Sie könnten dann unser Gespräch veröffentlichen, ohne es mir nochmal vorzulegen, müssten es dann aber genauso wie mündlich geführt abdrucken.

Das wiederum ist völlig unrealistisch, weil kaum jemand druckreif spricht. Außerdem gibt es insbesondere in gedruckten Publikationen Umfang- und Layoutzwänge, die eine Bearbeitung des Originalgesprächs unabdingbar machen.

Das ist zunächst mal Ihr Problem. Es gilt die Regel, dass der Interviewpartner auch dann geschützt sein muss, wenn keine Autorisierung vereinbart wurde. Streng juristisch gesehen, müssen Sie also zu 100 Prozent zitattreu bleiben. Deshalb ist die Autorisierungspraxis ja auch ein Schutz für Sie. Sie können sich 100-prozentig sicher sein, dass Sie die autorisierte Version auch wirklich veröffentlichen dürfen und keine Fehler drin sind.

„Eine Autorisierung bezieht sich immer auf die finale Textversion des Interviewten. Darin dürfen sie Rechtschreib- und Grammatikfehler korrigieren – mehr aber auch nicht.“

Nehmen wir an, ich werde der von Ihnen freigegebenen Interviewversion zustimmen, streiche aber kurz vor Druck trotzdem noch schnell ein paar Wörter heraus, die meiner Ansicht nach überflüssig sind und den Sinn nicht entstellen. Oder ich habe doch ein paar Zeilen weniger zur Verfügung, weil zum Beispiel ein Bild vergrößert wurde. Wäre das rechtlich in Ordnung?

Streng gesehen, könnte ich Sie dafür rechtlich angreifen. Nochmal: Eine Autorisierung bezieht sich immer auf die finale Textversion des Interviewten. Darin dürfen sie Rechtschreib- und Grammatikfehler korrigieren – mehr aber auch nicht. Wenn sie also – salopp gesagt – nochmal im Text herumfummeln, müssten Sie ihn nochmal autorisieren lassen.

Alle Jahre wieder veröffentlicht die eine oder andere Zeitung ein Interview mit geschwärzten Antworten, weil sie sich mit dem Interviewten nicht auf Druckversion einigen konnte. Ist das rechtens?

Meiner Ansicht nach ja. Dann wird im Prinzip nur berichtet, dass ein Interview stattgefunden hat, aber die Beteiligten sich nicht auf einen finalen Text einigen konnten. Wenn allerdings der Eindruck erweckt wird, der Interviewte habe sich unfair verhalten, obwohl dies unwahr ist, wäre das Medium rechtlich angreifbar.

Lässt sich das immer nachweisen?

Das kann sehr kompliziert werden, weshalb es aus Sicht des Interviewten besser sein kann, Gras über die Sache wachsen zu lassen und aus dem Vorfall zu lernen.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und ihren Gesprächspartnern in den vergangenen Jahren entwickelt?

Ich beobachte wachsendes Misstrauen gegenüber Journalisten. Verabredungen mit ihnen per Handschlag, wie sie früher noch üblich waren, wagen immer weniger Leute. Viele von ihnen würden Journalisten gerne mal etwas off record erklären. Aber kann man dieses Risiko noch eingehen?

Basiert das Misstrauen auf gemachten Erfahrungen oder eher auf Befürchtungen?

Gerade betreue ich einen Mandanten, der sich für ein Hintergrundgespräch auf telefonisch vereinbarte Vertraulichkeit verlassen hat. Und dann wurden doch Zitate veröffentlicht. Solche Vertrauensbrüche passieren häufig, zumal die Medien extrem unter Druck sind, Krawalljournalismus zunimmt und damit verbunden auch Diskreditierungen von Menschen und Verletzungen der Privatsphäre nur um der Quote, der Zeitungsverkäufe oder der Klickzahlen willen zunehmen. Natürlich gibt es Konstellationen, in denen Journalisten vertrauliche Aussagen veröffentlichen dürfen, zum Beispiel im Zusammenhang mit schweren Straftaten. Wenn die Veröffentlichung aber nur dazu dient, sich auf Kosten anderer Menschen zu profilieren, würde ich mir wünschen, dass der Journalist erst nochmal nachdenkt.

Warum haben Sie dieses Interview gegeben?

Weil dazu beitragen will, dass es weniger Ärger zwischen Journalisten und ihren Gesprächspartnern gibt. Und weil Sie der Autorisierung des Interviewtextes zugestimmt haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Tanja Irion, geboren 1967, ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht in eigener Kanzlei in Hamburg. Sie studierte Rechtswissenschaft in Hamburg. Danach war sie Referentin beim Landesbeauftragten für den Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern und Rechtsreferendarin in Schleswig Holstein. Fünf Jahre lang amtierte sie als Bundesvorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft (DAV). Ihre Kanzlei in Hamburg gründete sie im Jahr 2000.

* Mario Müller-Dofel ist Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“ und Geschäftsführer des Seminaranbieters Dialektik for Business.