Interview-Fotos: Gurian und die guten Bilder
Wenn der Fotograf fühlt, was das Besondere am Interview ausmacht
Gute Bilder spielen für Interviews eine besondere Rolle: Sie schaffen Lese-Anreize. Sie vermitteln das Gefühl, bei einer besonderen Begegnung dabeizusein. Sie vermitteln die Perspektive, die Idee, das Ziel einer Geschichte. So untermalen die Interview-Fotos den Gesamteindruck.
Von Erol Gurian*
Was also sind gute Interview-Fotos? Fragen Sie zehn Fotografen, bekommen Sie zehn verschiedene Antworten auf diese Frage. Deshalb kann diese Erklärung natürlich nur eine Annäherung an das Thema sein. Denn es hat doch sehr viel mit Kontext, persönlichen Vorlieben und Zeitgeist zu tun. Bei meiner Definition eines guten Interview-Fotos gehe ich von einem Bild aus, das in einem publizistischen Kontext eingesetzt wird – und hier ganz speziell im Zusammenhang mit einem Gespräch, das als solches veröffentlicht wird. Sicherlich würde man für ein Kunstfoto andere Kriterien heranziehen.
Interview-Fotos als klarer Anker
Wenn man voraussetzt, dass ein Foto immer eine Idee, ein Konzept darstellt, kommt man der Natur des guten Fotos auf die Schliche. Eine gute Idee ist nämlich, wie ein gutes Foto, zunächst einmal eingängig: Es zeigt klar und deutlich um was es geht, konzentriert sich auf ein Sujet und vernachlässigt Unwesentliches.
“Nebensächliches sollte in der Unschärfe verschwimmen.”
Hier geht es dem Fotografen nicht anders als dem Gesprächsführenden. Denn auch der Interviewer muss klar wissen, welches Ziel oder welche Ziele in einem auf begrenzte Zeit laufenden Treffen erreichbar sind, welches Thema besonders im Vordergrund stehen soll. Während der Interviewer also thematisch die Perspektive und die Brennweite einstellt, muss auch der Fotograf wählen. Konkret heißt dies für ein Bild, dass es einen klaren optischen Schwerpunkt haben sollte, auf den sich der Blick des Betrachters konzentriert. Nebensächliches sollte nicht auf dem Bild sein oder in der Unschärfe verschwimmen. Ein gutes Foto ist „lesbar“.
Der Fotograf – kein Fremdkörper
Aber die gute Gestaltung alleine reicht nicht aus, wenn das Foto den Betrachter nicht anspricht, ihn nicht bewegt. Das vermag ein Foto nur, wenn sich der Fotograf beim Fotografieren selber dafür begeistern konnte. In Interviewsituationen ist es daher ratsam, dass der Fotograf nicht als Fremdkörper der Session wahrgenommen wird, sondern Teil des Gesprächs, Teil der Zusammenkunft ist.
“Ein gutes Foto vermittelt Emotionen.”
Im Warm Up sollte deshalb auch auf jeden Fall der Fotograf schon mindestens eine kleine Rolle spielen. So wird das Gespräch zum gemeinsamen Projekt – und der Fotograf fühlt mit, was das Besondere an diesem Interview ausmacht. Nur dann hat ein Bild eine Seele. Sie erkennen diese Seele, wenn Sie sie sehen: Es kann die besondere Farbwelt sein, die Sie anspricht, die außergewöhnliche Lichtführung oder einfach nur der intensive Blick eines ausdrucksstarken Gesichtes. Ein gutes Foto vermittelt Emotionen.
Viel experimentieren – weil es Spaß macht
Gute Interview-Fotos ist originell. Wenn ein Bild „zu sehr gesehen“, schon zum Klischee geworden ist, dann läuft es Gefahr langweilig zu sein. Deshalb ist es sinnvoll, von herkömmlichen Perspektiven, Bildausschnitten und Farben abzuweichen und Neues zu erfinden. Am besten gelingt das in einer spielerischen Atmosphäre. Auch hier kann es nicht schaden, wenn der Fotograf dies auch im Gespräch erwähnt, den Gesprächspartner darüber aufklärt, warum er andere Dinge macht, als der Interviewpartner dies mitunter gewohnt sein mag.
Das Ergebnis zählt und wird auch den Menschen vor der Kamera überzeugen. Das heißt: viel zu experimentieren, einfach so, weil es Spaß macht und keine Angst davor zu haben, dass dabei auch mal ein Foto in die Hose gehen kann. Die Digitalkamera ist für diese Arbeitsweise ohnehin prädestiniert, denn man kann sehr schnell viel ausprobieren und es kostet nichts!
Komplexe Situation
Das Interview wird nicht nur bei schreibenden Journalisten oft in seiner Komplexität unterschätzt. Gerade auch für die Bilder gilt das. Damit Interviewfotos gute Fotos werden, muss man sich schon Mühe geben und gezielt nach dem eigenen Zugang zum Gespräch suchen.
* Erol Gurian studierte Fotojournalismus und Psychologie in den USA. In Deutschland machte er sich 1991 als Fotograf selbstständig. Er arbeitet schwerpunktmäßig für bekannte Magazine, aber auch für Werbung und Public Relations. Außerdem ist er ein vielgebuchter Fotodozent und -trainer.