Interview mit Radsportstar Richie Porte: Warm up mit Stiefeln
Warum das Interview mit dem Tour-de-France-Favoriten gelang – und was sich daraus lernen lässt
Wenn sich Journalist und prominenter Gesprächspartner zum Interview begegnen, ist eine Menge Erwartungsdruck im Raum. Damit beide Seiten nicht verkrampfen, hilft die lockere Gesprächseröffnung. Mit dem australischen Radsportler Richie Porte habe ich ein besonders positives Beispiel von lockerem Einstieg erlebt.
Von Tim Farin*, im Juni 2017
Es ist für den Interviewer eine schöne und zugleich druckvolle Herausforderung, wenn Europas größtes Radsportmagazin den Auftrag erteilt, einen der Topstars beim größten Sportereignis des Jahres – der Tour de France – zu treffen. Zumal das Interview für die besonders dicke und meistgelesene Ausgabe des Hefts geplant ist: Die TOUR-Juli-Ausgabe, die pünktlich vor dem Start der Frankreichrundfahrt am 1. Juli in Düsseldorf im Handel liegt. Natürlich freue ich mich, wenn die Redaktion mir ein Gespräch mit einem der wichtigsten Protagonisten anvertraut. Aber so etwas bedeutet eben auch: Das Interview muss sitzen, und allzuviel Zeit hat der Reporter meist nicht, um geistreiche Gespräche zu führen – zumal Radsportstars oft wie “auf dem Sprung” wirken.
Als ich im März den Aufrag annahm, den australischen Top-Fahrer Richie Porte mit Blick auf seine Tour-Ambitionen in Paris zu treffen, war also akribische Vorbereitung und viel Planung angesagt. Das umfasste zunächst einmal die Logistik. Denn in die Nähe von Paris muss man erstmal kommen, mit dem Fotografen muss man sich vorab über den Job verständigen – und ebenso mit der Pressesprecherin sicherstellen, dass alles so läuft wie geplant. Denn es passiert nicht selten, dass Stars am Ende doch deutlich weniger Zeit haben, als sie eigentlich zugesagt hatten.
Die Blicke wandern zu den Schuhen
In diesem Fall waren 60 Minuten vereinbart, worauf ich die Presse-Managerin des Teams BMC auch am Morgen vor meiner Ankunft noch einmal festnagelte – obwohl sich der Tagesablauf regenbedingt etwas veränderte und ich das Interview nun eine Stunde früher führen würde. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt die internationale Fachpresse der vergangenen Jahre durchforstet, soziale Netzwerke abgesurft, mit Kollegen gesprochen und Videos geschaut – alles, um möglichst gut vorbereitet ins Gespräch zu gehen. Natürlich hatte ich meinen Fragenkatalog mehrfach überarbeitet, mir die Fragen selbst vorgelesen und überlegt, ob sie auf Englisch exakt gestellt waren.
Als ich dann aber Richie Porte gegenübersaß, einem auf den ersten Blick ruhigen, sehr höflichen Mann, passierte etwas Außergewöhnliches. Im Warm up, dessen Wirkung man nie unterschätzen sollte, plauderten wir ein wenig darüber, wie das Wetter das Training der BMC-Mannschaft verhindert hatte. Ich erzählte, dass ich aus Köln angereist sei. Porte rückte noch für die Kamera in Position. Ich stellte mein Aufnahmegerät auf den Tisch und bemerkte: Der Gesprächspartner schaute mehrfach an mir herab, an meinen Beinen hinunter, auf meine Schuhe. Das irritierte mich zuerst für einen kurzen Moment.
Im Interview: Freundlicher Ton, offene Gesprächsführung
“Sind das Blundstones?”, fragte mich Porte. “Ja”, antwortete ich, “meine Lieblingsschuhe, perfekt für jeden Einsatz.” Porte schaute wieder runter. Ob sie hinten das Label hätten, mit dem Namen der Firma. “Ja”, ich zeigte ihm das Schildchen. Porte lächelte. “Diese Schuhe kommen genau daher, wo ich herkomme. Aus Tasmanien. Ich hatte sie als Kind immer an.” Es war ein kleiner Moment, der schnell verging. Aber für unser Gespräch war es ein perfekter Opener.
Porte zeigte sich nicht nur professionell, sondern freundlich, wirkte so, als würde er nicht nur die geübten Phrasen rausjagen – sondern für seinen Interviewer und das Publikum, das er vertritt, über Antworten nachdenken. Ich hatte den Eindruck, dass die Schuhe seiner Kindheit auch bei ihm etwas gelöst hatten. Er sprach persönlich, wie ein nahbarer Mensch. Wir redeten über seine Heimat, seine Herkunft, das Leben in Tasmanien. Aber auch über Dopingvorwürfe gegen sein altes Team Sky und die Frage, ob er selbst Angst vor Enthüllungen habe. Es war ein sehr freundlicher Ton, eine offene Art der Gesprächsführung, bei der ich dem Star signalisierte, dass ich mich für seine Person interessierte – und er über seine Erfahrungen, Rückschläge und Ziele redete.
Als das Gespräch vorbei war und wir noch Bilder machten, kam Porte wieder auf meine Stiefel zurück – er zeigte sie der Pressesprecherin, die ebenfalls Australierin ist. Natürlich kannte auch sie die tasmanischen Schuhe. “Danke, dass du dir die Zeit genommen hast und dich so für uns interessierst”, sagte Porte zum Ende. Vielleicht wollte er mich damit umgarnen. Vielleicht war das Gespräch aber tatsächlich einfach ein gelungener Austausch gewesen – wie ich später beim Abhören und Verschriftlichen weiter fand.
Auf die menschliche Seite des Interviewpartners achten
Womit wir bei der Lektion wären, die dieses Beispiel mich erneut gelehrt hat. Neben dem perfekten Plan, der idealen Dramaturgie fürs Gespräch, dem Fragenkatalog und sehr guter Recherche muss man offen bleiben. Zunächst einmal geht es doch darum: Eine gute Gesprächsgrundlage zu finden. Das tut man, indem man sich von Anfang an für das interessiert, was der andere sagt. In diesem Fall aber geht es darüber hinaus: Ich hatte – in diesem Fall durch Zufall – etwas an, was positive Erinnerungen für Richie Porte bedeutete. Interviewer-Glück, könnte man sagen. Doch ähnlich wie beim Reporterglück könnte man sich ja überlegen, wie man die persönlichen Rahmenbedingungen für ein Gespräch so gestaltet, dass es zwischen Interviewer und Interviewtem passt.
Das kann die Wahl des Orts sein, an dem man sich trifft. Das kann ein Mitbringsel sein, wie es einmal ein niederländischer Kollege machte: Er hatte für einen weltbekannten Star ein seltenes Sammlerstück von dessen Lieblingsband aufgetrieben und ihn so “geknackt”. Vielleicht geht das einen Schritt zu weit, aber ein bisschen auf die menschliche Seite des Gesprächspartners und seine Vorlieben einlassen, das kann sicher nicht schaden.
Und wenn man Glück hat, passen eben die Schuhe. Dann sollte man die Chance im Gespräch ergreifen – und zeigen, dass der Journalist natürlich ein Profi ist – aber auch ein Mensch, dem man vertrauen kann.
Das Interview mit Richie Porte ist in der Juli-Ausgabe von TOUR erschienen und aktuell im Handel erhältlich.
* Tim Farin ist Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“.