Warm-up? Superwichtig! Hier knacken Interviewer Widerstände

Interviewgegner oder Interviewpartner – das ist hier die Frage!

Warm-up? Viele Journalisten betrachten ein Warm-up mit ihrem Gesprächspartner vor dem eigentlichen Interview als unnötiges, zeitraubendes Geplauder – ein fataler Irrtum zulasten der Antwortqualität. Anlass genug, den Interviewer-Blick auf die wahre Funktion der Aufwärmphase zu lenken. Hier nützt ein Blick auf das Eisberg-Modell aus der Kommunikationspsychologie.

Von Mario Müller-Dofel*

Eine Journalistenkollegin1 erzählte mir von einem Interview, das sie gerade mit einem EU-Politiker hinter sich gebracht hatte. Dieser sei „richtig ängstlich“ gewesen! Das hatte sie erst überrascht („…, weil Politiker doch gewohnt sind, interviewt zu werden“), dann verunsichert („…, weil der überhaupt nicht locker wurde“) – schließlich verkrampfte auch sie und verließ den Interviewort ob des schlechten Gesprächs ziemlich frustriert.

Als ich die Kollegin nach dem Verlauf des Warm-up vor dem eigentlichen Interview fragte, sagte sie, dass sie sich damit kaum aufgehalten habe, weil „eh nur 30 Minuten Zeit für das Interview waren“. Ähnlich hat sich ein anderer erfahrener Redakteur, Michael Martens von der F.A.Z., im Gespräch über sein missglücktes Interview mit dem griechischen Politiker Alexis Tsipras geäußert: „Ich versuche immer, das Warm-up möglichst kurz zu halten. … Je länger man anfangs über das Wetter plaudert, desto weniger Zeit bleibt für das eigentliche Interview.“

Zwei Kollegen, eine Meinung: Das Warm-up ist relativ unwichtig. So sehen es viel zu viele Journalisten und täuschen sich. Richtig ist: Es ist immens wichtig – wenn Interviewer an einer möglichst offenen Kommunikation interessiert sind. Es gehört zu einer guten Interviewvorbereitung, um typische interviewspezifische Kommunikationsprobleme zu vermeiden. Denn nach einem guten Warm-up bekommen Journalisten in kürzerer Interviewzeit meist mehr brauchbare Antworten als in einem längeren Gespräch ohne vorhergehende „Plauderei“. Wobei dieses Wort ein falsches Verständnis vermuten lässt. Anlass genug, den Interviewer-Blick auf die wahre Funktion des Warm-up zu lenken.

„Was will der Interviewer wirklich von mir?“

Angenommen, wir wollen eine Person interviewen, der wir erstmals begegnen. So war es auch in den oben geschilderten Fällen. Dann (und oft auch bei Interviewpartnern, die wir schon mal interviewt haben) müssen wir in der Regel mit drei Widerstandsarten2 umgehen:

 

Warm up - Interviews führen
Abwehrhaltung: Selten offenbaren Interviewte innere Widerstände so deutlich wie hier. (Foto: Luna/Fotalia.com)
  • Erstens: mit dem rationalen Widerstand. Dieser entsteht, wenn der Interviewpartner über andersgeartete Informationen verfügt oder gleiche Informationen anders gewichtet. Das kommt natürlich häufig vor. Da braucht nur ein mit den Grünen sympathisierender Journalist einen Atomkraftlobbyisten, ein vom Liberalismus überzeugter Redakteur einen Linkspolitiker oder Michel Friedman AfD-Chef Bernd Lucke interviewen.
  • Zweitens müssen wir mit dem sogenannten Interessenwiderstand umgehen, der entsteht, wenn bestimmte Fragen und Argumente persönlichen Bedürfnissen eines Interviewten zuwiderlaufen und deshalb von ihm abgelehnt werden. Das ist beispielsweise schon dann der Fall, wenn der Interviewer Fragen stellt, die für den Interviewten nur von Nachteil sein können, weil dadurch Missmanagement, Lügen oder Irrtümer offenbar werden.
  • Und drittens ist da noch der Antipathie-Widerstand. Durch den Antipathie-Widerstand empfindet der Interviewte die Fragen und Argumente des Journalisten negativ. Deshalb schwirren ihm Sätze wie diese durch den Kopf: Warum stellt mir der Journalist diese Frage? Warum fragt er die Frage gerade jetzt? Kann meine Antwort mir schaden? Was will der Interviewer wirklich von mir? Dass die meisten Menschen Antipathien gegenüber Journalisten hegen, ist angesichts des schlechten Images unseres Berufsstands normal. Allein deshalb kann ein sympathisches Warm-up nur nützen.

Warum Interviewpartner Eisberge sind

Die drei Widerstandsarten werden von allen Interviewbeteiligten gelebt – auf zwei Ebenen. In jedem Gespräch, also auch im journalistischen Interview, gibt es die

  • informative Kommunikationsebene, auf der es rational um die Sache/das offizielle Interviewthema geht, und die
  • kontaktive Ebene, auf der die emotionale Beziehung zwischen den Gesprächspartnern im Vordergrund steht.

Nach dem sogenannten Eisberg-Modell aus der Kommunikationswissenschaft entspricht der sichtbare Bereich der Kommunikation der informativen Ebene, wobei dieser Bereich das Gesprächsergebnis gerade mal zu 20 Prozent beeinflusst. Dagegen wirkt sich jener Bereich der Kommunikation, der sich nach dem Eisberg-Modell unsichtbar unter der (bildlich gesehen Wasser-)Oberfläche befindet und die Beziehungsebene darstellt, zu 80 Prozent auf das Gespräch/Interview aus. Je nachdem wie es um die emotional geprägte Beziehungsebene bestellt ist, was wiederum von den Interessenslagen und der Widerstandsintensität der Gesprächspartner abhängt, sind Interviewte mehr oder weniger locker (bzw. verkrampft) und ehrlich (bzw. unehrlich).

Warm up - Eisbergmodell
Eisberg-Modell: Der Bereich unter der Oberfläche hat weit mehr Gewicht als der sichtbare Teil. So ist es auch in Interviewsituationen. (Foto:niyazz/Fotolia.com)

 Mit Scheinargumenten getarnte Emotionalität

Dass Interviews dennoch meist rational geführt wirken liegt daran, dass die Beteiligten ihre Emotionalität mit scheinbar rationalen Argumenten und Fragen tarnen. Manchmal verliert ein Interviewter allerdings seine Tarnkappe, wie im umstrittenen heute-journal-Interview SPD-Eisberg Sigmar Gabriel („Tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie uns den Quatsch beenden.“) gegenüber der ebenso eisigen Moderatorin Marietta Slomka („Sie sagen, das ist Quatsch. Das ist jetzt eine besondere Form der Argumentation.“).

Interessanter Nebeneffekt: Dass Gabriel in diesem Gespräch ausnahmsweise mal rausrutschte, wie er Slomkas Fragen ehrlich fand („Quatsch“), wurde von halb Mediendeutschland empört kommentiert.

Eisberge im Warm-up zum Schmelzen bringen

Im journalistischen Interview ist das Warm-up dazu da, den unsichtbaren Teil der Eisberge zum Schmelzen zu bringen, bevor es in die unmittelbare Frage-Antwort-Situation, also zur Sache, geht. In der kommunikativen Dialektik wird die Aufwärmphase auch Kontakt- oder Beziehungsvergewisserung genannt. Die Gesprächspartner wollen sozusagen herausfinden, woran sie beim anderen sind, was naturgemäß für den Interviewer und seinen Gesprächspartner gilt.

Da wir als Journalisten diejenigen sind, die zuerst etwas von den Interviewten wollen (das sollten ehrliche Informationen sein), sind wir in der Pflicht, deren Bedürfnis nach Kontaktvergewisserung im Warm-up entgegenzukommen. Denn dadurch reduzieren wir Widerstände. Belanglose Plauderei reicht für ein gutes Warm-up allerdings nicht. Vielmehr müssen wir verdeutlichen,

  • welche Erwartungen wir an das Interview haben (damit der Interviewte versteht, wie er uns zufrieden stellen kann),
  • welche Rolle wir einnehmen (damit der Interviewte erkennt, aus welcher Perspektive wir fragen),
  • was nach dem Gespräch mit den Antworten des Interviewten passiert (damit dieser das Gefühl hat, auch Herr der Lage zu bleiben, wenn wir uns verabschiedet haben) und
  • wie wir die wichtigsten Begriffe definieren (damit wir die Interviewten und wir nicht aneinander vorbei reden, was neue Widerstände verursachen würde).

Kleiner Einsatz, viel Gewinn

Das hätte die ganz oben zitierte Journalistenkollegin im Verlauf eines guten Warm-up mit dem EU-Politiker ungefähr so formulieren können:

„… Herr Sowieso, mir geht es heute darum, dass Sie mir ehrlich, verständlich und mit konkreten Beispielen Ihre Ansichten erklären. Anders geht es nicht, wenn Sie möchten, dass dieses Interview von den Käufern unserer Zeitung gelesen und verstanden wird.” (Er äußert sich dazu.)

“Wichtig ist, dass Sie mir ein paar konkrete Fakten mehr mitgeben als zu wenig, dann kann ich bei der Verschriftlichung diejenigen heraussuchen, die unsere Leser am besten verstehen.” (Er sagt wieder etwas.)

“In jedem Fall können Sie sich darauf verlassen, dass ich verantwortungsvoll mit Ihren Worten umgehe, denn ich bin mir der Brisanz bewusst.” (Er geht darauf ein.)

“Wie ich nach dem Gespräch weiterarbeite hat Ihnen Ihr Pressesprecher ja wahrscheinlich schon erklärt. Ich erläutere es dennoch nochmal kurz.” (Er fragt vielleicht nach.)

“Die Fragen, die ich Ihnen stelle, beschäftigen unsere Leser. Meine persönliche Meinung spielt keine Rolle.” (Er sagt etwas dazu.)

“Unter unseren Lesern sind viele, die – nachvollziehbar begründet – ein Demokratiedefizit in Europa bemängeln. Das muss ich natürlich thematisieren. Wenn ich das Wort Demokratiedefizit benutze, verstehe ich darunter …” (Idealerweise äußert er Akzeptanz.)

Natürlich hätte die Kollegin im Warm-up nebenbei auch über das Wetter plaudern können. Welche Themen sich ansonsten noch eignen und welche tabu sind, lesen Sie hier. Und was die Zeit betrifft: Wenn Sie 15 bis 20 Prozent Ihrer vereinbarten Interviewzeit (im Fall der Kollegin rund 5 von 30 Minuten) investieren, um Widerstände bei Ihren Gesprächspartnern abzuschmelzen, holen Sie in weniger Zeit mehr gute Antworten aus ihnen heraus.

1Die zitierte Journalistin möchte anonym bleiben.

2Der Psychologe, Philosoph und Theologe Rupert Lay hat die drei Widerstandsarten in seinem Buch „Dialektik für Manager“ publiziert. Der Autor dieses Beitrags hat sie auf Interviewsituationen übertragen.

* Mario Müller-Dofel ist Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“.