Interviewführung professionell? Ist Multitasking-Management!
Gedanken eines Interviewers
Interviewführung professionell: Das ist viel mehr als nur Fragen zu stellen. Zumindest, wenn der Journalist anspruchsvoll ist. Und wenn er das ist, wird es komplex. Gedanken eines Interviewers, dem der Tagesanfangsstress fast den Nerv für seinen Nachmittagsjob gekostet hätte.
Von Tim Farin*
Der Journalist hat mal wieder viel zu wenig geschlafen – und auch noch schlecht dazu. Die Nerven liegen gleich nach dem Aufstehen blank, schreiende Kinder, bald darauf ein nerviges Telefonat, viel Stress schon am Vormittag. Im Kalender steht schon seit Tagen ein Interview für den Nachmittag – neunzig volle Minuten mit einem Star. Der Journalist hat aber noch so viel anderes zu tun, Gespräche, E-Mails, kurze Textkorrekturen.
Da gerät das Gespräch fast aus dem Blick – doch zum Glück erinnert er sich daran, was ein Kollege immer sagt: Interviewführung ist viel mehr als nur kluge Fragen stellen. Der Gedanke kommt rechtzeitig, um noch einmal darüber nachzudenken, was man als Journalist in Gesprächen für ein Multitasking meistern muss. Dieses Bewusstsein rettet den Kollegen ebenso wie Sie in einer vergleichbaren Lage…
… weil Sie als Regisseur die Situation komplett steuern müssen
Wenn Sie auf Ihren Interviewpartner treffen, muss alles stimmen. Ab diesem Moment sollten Sie die Situation komplett unter Kontrolle haben. Das heißt: Sie haben ein Konzept fürs Begrüßen ebenso wie für die eigentliche Fragerunde. Sie wissen, wie Sie sich und, sofern dabei, Ihre Kollegen, meist auf jeden Fall Fotografen, vorstellen werden. Sie vertreten Ihr Medium und müssen deswegen körperlich und inhaltlich eine Präsenz ausstrahlen, die zu dem Titel passt.
Diese Rolle bleibt Ihnen vom Anfang bis zum Ende des Gesprächs vorbehalten – Sie sind quasi die ganze Zeit lang der Regisseur, der Ihnen selbst und manchmal auch dem Gesprächspartner und dem Fotografen Ansagen machen muss, damit die Produktion zum gewünschten Ergebnis führt. Seien Sie immer bereit, ordnend ins Geschehen einzugreifen! Interviewführung heißt eben auch Führung.
… weil Sie für Warm-up und Sitzordnung zuständig sind
Gleich am Anfang eines Gesprächs besteht die allergrößte Gefahr, dass die gesamte Sache scheitert – und zwar noch bevor die erste Frage von Ihrem Zettel gestellt ist. Die Gefahr ist deshalb groß, weil Sie vielleicht von den Eindrücken, die auf Sie einprasseln, beansprucht sind: Unbekannter Ort, bislang Ihnen unbekannte, aber prominente Persönlichkeit – steht man plötzlich in so einer Sache drin, braucht man ein klares Konzept, damit die Begrüßung und die Überleitung ins Gespräch funktionieren.
Das Warm up, das Vorstellen und die ersten paar Minuten vor dem eigentlichen Gespräch, das ist entscheidend, um Ihre eigene Präsenz im Raum zu markieren, um dem Gesprächspartner Vertrauen zu vermitteln, um eine offene Stimmung zu erzeugen. Zugleich beweisen Sie Ihre Fähigkeiten als Gesprächs-Führer von Anfang an: Sie äußern den Wunsch nach der Sitzordnung, begründen, warum dieser so ausfällt, und Sie leiten auch im Warm-up das Gespräch, indem Sie bereits in einen Frage-Antwort-Rhythmus überleiten. Natürlich sollten nicht Sie die Antworten geben. Achten Sie mal drauf!
… weil Sie nonstop über Ihre Wirkung auf den Gesprächspartner nachdenken
Im Gespräch passiert, ganz unbewusst natürlich, eine ganze Menge, die Sie üblicherweise nicht so auf dem Schirm haben. Machen Sie sich aber bewusst, wie viel Kapazität in Ihrem Kopf und Ihrem Bauch dafür nötig ist, die ganze Zeit zu prüfen, wie Sie mit der Situation eigentlich klarkommen. Da sind Sie selbst und da ist Ihr Gesprächspartner (von dem anwesenden Publikum, also mindestens dem Fotografen, ganz zu schweigen). Kommen Sie so rüber, wie Sie rüberkommen möchten? Sind Sie sich über einen Fakt aus dem Leben des Gesprächspartners unsicher oder haben Sie gestern Abend zu viel Allioli gegessen und darüber erst jetzt gerade nachgedacht? Das sind Kleinigkeiten, die Sie im Gespräch selbst aus der Rolle werfen können.
Interviewführung professionell bedeutet auch: In Ihrem Gehirn arbeitet es pausenlos daran einzuordnen, wie Sie und Ihre Mitmenschen gerade mit der Situation klarkommen, wie Sie einander finden. Das merken Sie manchmal ganz bewusst, oft aber auch nur als Gefühl oder als etwas, das Sie beim Denken hindert. Deshalb lohnt es sich immer, möglichst im Voraus klar zu wissen, wie Sie wirken möchten – und alles auf echte Interviewführung abzustimmen: Kleidung, Haltung, Essen.
… weil die Technik funktionieren muss
Sie möchten gern, dass die Antworten Ihres Gesprächspartners als Aufnahme bleiben. Also brauchen Sie Technik, ein Aufnahmegerät oder ein Smartphone mit Aufnahmefunktion. Im besten Fall: Beides. Denn wir lernen alle aus Erfahrung, und eine Lehre lautet: Redundanz bei der Gesprächsaufzeichnung kann Sie vor vielen Ärgernissen retten. Während Sie das Gespräch führen, müssen Sie schließlich auch permanent kontrollieren, ob die Aufnahme läuft und nicht zwischendurch die Batterie versiegt, ob die Lautstärke stimmt und die Uhr wirklich weiterläuft (oft reicht ein Knopfdruck nicht aus, um den Aufnahmestart tatsächlich auszulösen, je nach Gerät). Wenn Sie ein Smartphone nutzen, müssen Sie sicher sein, dass keine Anrufe die Aufnahme stören – also: Flugmodus an!
All das kann Sie beschäftigen, deshalb: Denken Sie im Voraus daran, die Technik zu checken und die Aufnahme so sicher wie möglich zu gestalten. Und dazu noch etwas: Viele Kollegen greifen immer noch ausschließlich auf Block und Stift zurück. Das ist natürlich die ultimative Form des Multitasking: Über lange Zeit nicht nur Zuhören und kluge Fragen (der Situation gerecht) stellen, sondern auch noch mit dem eigenen Schreibmaterial dafür sorgen, dass das Gespräch möglichst lückenlos in Schriftform gelangt. Ob das wirklich eine gute Methode ist für die Interviewführung ist?
… weil Sie (oft zu) viele Fragen haben (ja, auch das ist Interviewführung professionell)
Sie sind für das Timing verantwortlich. Als Profis wollen Sie eine Situation nicht überziehen – wer weiß denn, was der Gesprächspartner noch alles vorhat an diesem Tag? Wenn das Aufnahmegerät vor Ihnen steht (oder Sie Ihre Armbanduhr benutzen), dann wissen Sie zumindest, wie viel Zeit Sie schon gebraucht haben (und damit auch, wie viel Ihnen noch bleibt). Als Verantwortlicher für die Interviewführung und ihren Gesamterfolg müssen Sie in der Lage sein, Ihr Fragekonzept, Ihren Fragezettel jederzeit so zu überblicken, dass Sie spontane Änderungen im Ablauf möglich machen.
Wenn Sie nach zwei Dritteln der Gesprächszeit merken, dass Sie nur die Hälfte der Fragen gestellt haben, müssen Sie umdenken. Aber am besten so, dass Ihr Gesprächspartner nicht viel davon merkt – das heißt: Sie sollten sich im Klaren sein, welche Fragen jetzt wichtig sind und welche über Bord dürfen. Das funktioniert am besten, wenn Sie das Konzept vorher etliche Male im Kopf durchgegangen sind und sich markiert haben, was Ihnen wichtig ist. Aber: Es ist garantiert immer ein Stressfaktor.
… weil Sie als Team arbeiten und auch Bilder brauchen
Sie erinnern sich? 90 Minuten Zeit haben Sie mit dem Gesprächspartner. Das ist Ihr Maximum. Wenn Sie jetzt also einfach drauflosquatschen, haben Sie ein Problem – und zwar, dass die Zeit für die Bilder nicht klar definiert ist. Einigen Sie sich im Voraus mit dem fotografierenden Kollegen darauf, wie viel Zeit er für gesonderte Aufnahmen braucht – und gestehen Sie dem Produktionspartner diese Zeit dann auch wirklich zu. Sie werden geneigt sein zu sagen: Die paar Bilder sind in fünf Minuten geknipst, fünf Minuten Vorstellung, na: Dann habe ich ja 80 Minuten fürs Gespräch.
Aber die Wahrheit ist anders: Lassen Sie sich auf die Wünsche des Fotografen ein und behalten Sie diese während des Gesprächs im Blick. Was soll denn das sonst für ein Interview sein, das nicht über gute Fotos anspricht? Sie werden sehen: Viel mehr als die Hälfte der Zeit bleibt Ihnen nicht, um wirklich zu fragen und zuzuhören. Wenn der Fotograf im Gespräch hektisch wird: Nehmen Sie es wahr und reagieren Sie! Halten Sie sich an Ihre Absprachen.
Sie sehen also: Interviewführung professionell bedeutet: weit mehr zu beachten, als nur kluge Fragen zu stellen. Das Management der Situation, also: die GesprächsFÜHRUNG, dürfte wahrscheinlich genauso strapaziös sein wie das Erdenken intelligenter Fragen. Vielleicht eine wertvolle Erkenntnis, wenn Sie das nächste Mal zum Interview aufbrechen.
* Tim Farin ist Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“.