kress pro: Wie Facebook im kress pro-Interview eins auf die Nase bekommen hat
„Auch einfachsten Fragen konsequent ausgewichen“
kress pro: Lesen Sie hier, was bei einem Interview des Medienmanager-Magazins mit Facebook-Manager Jesper Doub herausgekommen ist. Als Unternehmensvertreter erfahren Sie, wie Sie Interviews nicht geben sollten. Und Journalisten bekommen eine Idee davon, was einen Interview-„Tiger“ ausmacht.
Von Mario Müller-Dofel*
Jetzt muss ich mich mal spontan outen: Ich liebe Markus Wiegand. Den Chefredakteur des Medienmanager-Magazins kress pro. Also nicht mit Tätscheln, Küsschen und Picknick auf der Waldlichtung. Wir haben ja beide Familie. Nee, einfach beruflich. Als Leser seiner Interviews, die immer wieder Highlights sind.
Markus Wiegand gehört für mich zu der Kategorie, die ich in „Interviews führen. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis“ als Top-Interviewer bezeichne. Er ist immer les- und spürbar gut vorbereitet (mitunter besser als seine Interviewpartner, s. unten). Er befragt seine Gesprächspartner hart, hakt hartnäckig nach, wird mitunter ein bisschen frech, allerdings nie respektlos. Und er bleibt trotzdem – das werden viele seiner Interviewpartner bestätigen – irgendwie sympathisch. Ein hoher Sympathiefaktor ist günstig für Interviewer und Interviewerinnen, die ihre Befragten ordentlich rannehmen wollen.
In der kress-pro-Ausgabe 2019/#05 schrieb Wiegand im Editorial:
„Momente der Wahrheit. Warum ein Interview mit Facebook ein Erlebnis ist.“
Das wollte ich wissen. Im Editorial macht Wiegand das, was er genauso gut kann wie Interviews führen: über ein Interview berichten. Im Editorial geht’s um ein Interview mit Facebook-Manager Jesper Doub, ehemals Spiegel Online-Geschäftsführer und seit Oktober 2018 bei der US-amerikanischen Social-Media-Übermacht Facebook für Kooperationen mit Publishern zuständig.
Wiegands komplette editoriale Reflexion lesen Sie unten. Sein Fazit sei hier dennoch zitiert:
„Ich habe in den vergangenen Jahren mehr als 100 Interviews in der Medienbranche geführt. Dabei ist die Wahrheitsliebe nicht immer sehr ausgeprägt. Das Klischee stimmt schon: Man haut in eigener Sache gerne auf die Sahne. Ich kann mich aber an kein Interview erinnern, in dem ein Gesprächspartner auch einfachsten Fragen derart konsequent ausgewichen ist und so wenige Belege für Behauptungen präsentierte. Ich weiß nicht, ob das Ganze Strategie oder Unvermögen ist. Beides aber ist unangemessen für einen Weltkonzern, dessen Geschäftsmodell darin besteht, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.“
Uff! Strategie oder Unvermögen? Nun musste ich natürlich das Interview lesen. Mein Fazit dazu schon mal vorab: Ich tippe auf Unvermögen, denn für anderes fehlt mir die Vorstellungskraft. Seit Jahren befasse ich mich mit Gesprächsstrategien, auch für Interviews mit harten Bandagen. Doch ich habe noch keinen Unternehmensvertreter kennengelernt, dessen strategisches Ziel es war, eine Interview-Reflexion wie die von Markus Wiegand um die Ohren gehauen zu bekommen. Wenn so etwas nach einem Interview herauskommt, schadet es der Glaubwürdigkeit des Gesprächspartners genauso wie der seines Arbeitgebers. Hauptverantwortlich dafür ist der Interviewte. Denn er hat den Journalisten dazu gebracht. Dies gilt auch für das kress pro-Interview. Und jetzt zum Interviewtext:
„Tiger“ Wiegand im Vorwärtsgang
Inhaltlich kann ich die Fragen und Antworten nicht gut beurteilen, weil ich mich mit dem Verhältnis von Facebook zu deutschen Zeitungsverlagen eher schlecht auskenne. Anders sieht es bei der Formulierung von Interviewfragen und beim Überzeugungspotenzial von Interviewantworten aus. Der fragende Markus Wiegand erinnerte mich – kein Schmarrn – an den früheren Boxweltmeister Dariusz „Tiger“ Michalczewski. Auch „Tiger“ Wiegand blieb über weite Strecken unnachgiebig im Vorwärtsgang, stach mit seinen gut vorbereiteten „Jabs“ immer wieder in die Deckung des Anderen (oder mittendurch), ignorierte die schwachen Konter des Interviewten und blieb stets innerhalb des Erlaubten.
Facebook-Manager Doub kam gegen Wiegand zwar über die Runden. Doch Punkte hat er kaum gemacht. Im Gegenteil. Auf die Nase hat er bekommen. Gerade wegen seiner vielen Ausweichmanöver. Rätselhaft, warum er sich dem Frage-Antwort-Duell in dieser Verfassung überhaupt gestellt hat.
Rhetorisch ist „Glaube“ viel schwächer als Wissen
Übrigens bin ich mir sicher, dass ich das Interview auch so gelesen hätte, hätte Markus Wiegand es nicht im Editorial behandelt. Die zwei gewichtigsten Gründe dafür:
Erstens: Der Interviewte hat viel zu wenige Belege für seine Behauptungen präsentiert. Dies hat Markus Wiegand im Editorial kritisiert. Nach der Interviewlektüre muss ich sagen: zu Recht kritisiert.
Zweitens: Der Interviewte benutzt auffällig oft die Formulierung „Ich glaube …“ Da fragt sich der sensible Leser: Weiß der Manager denn auch etwas? Glauben und Wissen – das ist ein riesiger Unterschied. Und wer in Interviews oder anderen Gesprächen, in denen es zu überzeugen gilt, zu viel „glaubt“, verliert an Glaubwürdigkeit. „Ich glaube“ signalisiert mindestens Unsicherheit. „Glauben“ ist in Interviews schwächer als Wissen.
Hier sind die „Glaubensbekenntnisse“ des Interviewten:
- „Ich glaube aber auch, dass wir inzwischen schon eine ganze Menge getan haben.“
- „Ich glaube, dass das so nicht richtig ist.“
- „Ich glaube, man muss schon sagen, dass Facebook sich deutlich gewandelt hat.“ (Das unspezifische „man“ macht die Antwort noch schwächer. Wer „muss“ denn sagen, dass Facebook sich deutlich gewandelt hat? Genau genommen sagt das in dieser Formulierung nicht mal der Interviewte.)
- „Ich glaube nicht, dass das eine pauschale Kritik an uns ist.“
- „Ich glaube, das ist ein deutlicher Unterschied.“
- „Ich glaube ohnehin, dass es falsch wäre, die Vermarktung als einzige Erlösquelle zu sehen.“
- „Ich persönlich glaube daran, dass ein Geschäft, das an den Erfolg relevanter Inhalte und die Performance eines Medienunternehmens gekoppelt ist und nicht an ein Standard-Schema …“
- „Ich glaube, um zu einer vernünftigen Partnerschaft zwischen Medienunternehmen und Facebook zu kommen …“
- „Wir glauben, dass wir eine Verantwortung haben …“
Ich weiß, dass der Facebook-Manager mich nicht überzeugt hat. Allerdings ist es gegenüber einem kritischen Interview-„Tiger“ wie Wiegand auch schwer, überzeugend zu sein. Wenn Interviewte nicht möchten, dass Herausforderer (das sind in Interviews immer die Journalisten) plötzlich weltmeisterlich auftreten, müssen sie sich besser als Jesper Doub vorbereiten:
- auf den Interviewer als Person,
- auf dessen journalistische Bedürfnisse,
- auf seine potenziellen Fragen und
- auf die persönliche Begegnung.
Andernfalls gibt’s auf die Nase. Das können Unternehmensvertreter aus der misslungenen Vorstellung des Facebook-Managers lernen. Markus Wiegand sei Dank.
* Mario Müller-Dofel ist Co-Initiator von alles-ueber-interviews.de.