Körpersprache: So (miss)interpretieren Sie
Vorsicht vor oberflächlichen Urteilen – auch in Interviews
Insbesondere Management- und Karriere-Redakteure schreiben häufig über Körpersprache. Das ist richtig und wichtig. Denn die nonverbale Ausdrucksweise wirkt im Schnitt stärker als die gesprochenen Worte – auch in journalistischen Interviews. Falsch ist allerdings, dass Signale der Körpersprache immer das aussagen, was in manchen Beiträgen behauptet wird.
Von Mario Müller-Dofel*
Ein Beispiel dafür ist ein Beitrag bei Wirtschaftswoche online, der mit folgenden Worten überschrieben ist: „Was Gesten über Sie verraten. Ein Lächeln sagt mehr als 1000 Worte, verschränkte Arme signalisieren Ablehnung. Nicht nur in heiklen Situationen zeigt nonverbale Kommunikation, wie sich Ihr Gesprächspartner fühlt. Ein Überblick über eindeutige Gesten.“
Eindeutige Gesten?
Vorsicht. Körperprache ist oft das Gegenteil: mehrdeutig. “Eindeutig” dagegen ist naiv und gefährlich, weil diese Formulierung andere Deutungen ausschließt und sich mit Halbwissen zufrieden gibt, das wiederum zu unangemessenen, kontraproduktiven Reaktionen gegenüber Gesprächspartnern führen kann. Im journalistischen Bereich sollten sich dies vor allem Interviewer bewusst machen.
Drei Beispiele aus dem Wiwo-Beitrag
„Menschen, die ihre Hände wie zum Gebet aneinanderlegen, fühlen sich sicher: Entscheidungen, die sie getroffen haben, stehen fest und sind nicht mehr zu ändern.“
So steht es dort unter Bild 2. Die Gebetshaltung kann natürlich auch andere Gründe haben: So halten sich viele unsichere Gesprächspartner auf diese Art (an sich) fest, um inneren Halt zu finden. Wenn beispielsweise ein aufgeregter, verärgerter Interviewpartner in dieser Haltung sagt, er will das Interview beenden, können versöhnliche Gesten und eine weicher klingende, deutlich Respekt signalisierende Gesprächsführung des Journalisten das Interview noch eine Stunde weiter tragen. Von wegen, die Entscheidung sei nicht mehr zu ändern! Wie gesagt: Ganz so einfach lässt sich Köpersprache oft nicht übersetzen.
„Hinter dem Kopf verschränkte Hände drücken Dominanz aus. Entscheidungen wird er nicht mehr revidieren, er besitzt genügend Selbstbewusstsein.“
Auch hier suggeriert die Interpretation der Körpersprache, dass man im Grunde die Diskussion um eine Entscheidung verloren geben kann, wenn zum Beispiel der Chef seine Hände hinter dem Kopf verschränkt. Dabei gibt es viele Menschen, die sich so hinsetzen, um mal kurz zu entspannen.
„Vor dem Körper verschränkte Arme sind immer auch eine Abwehrhaltung. Haben Sie vorher einen verbalen Angriff gestartet, dann haben sie Ihren Gesprächspartner nun in die Defensive gedrängt.“
Nein, verschränkte Arme sind eben nicht immer eine Abwehrhaltung. Manchmal kämpft der Gesprächspartner einfach nur mit seinem verspannten Nacken, entlastet seine Schultern, friert oder spiegelt die Körpersprache des Gegenübers. Übrigens: Ob ein verbaler Angriff vom Angegriffenen so gefährlich empfunden wird, dass er sich dem Angreifer mit verschränkten Armen verschließt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.
Von falsch interpretierten Körpersprachesignalen abgesehen, ist auch die Körpersprache von Interviewern oft mehrdeutig. Angenommen, einer sitzt zurückgelehnt, mit verschränkten Armen und ausgestreckten Beinen, weil das seine bevorzugte Zuhörhaltung ist: Da wäre es misslich, wenn der Interviewte vor dem Gespräch negative Körpersprachepauschalitäten wie die oben zitierte gelesen hätte. Oder er setzt sich genauso wie der ihm sympathische Interviewer hin, weil er denkt, er könne sich ebenfalls locker machen. Wenn dies zur Folge hätte, dass er locker (und unüberlegt) interessante Geschichten ausplaudert, wäre das wiederum positiv für den Interviewer.
Je mehr Indizien bei der Körpersprache, desto besser
Also Achtung: Einzelne Signale der Körpersprache sind immer nur Indizien für Befindlichkeiten, aber keine Beweise dafür. Je nach Umständen – zum Beispiel Gefühlslage, Gesundheitszustand, Sitzbequemlichkeit und motorischen Eigenheiten von Interviewten – kann Körpersprache unterschiedliche Bedeutungen haben.
Um die Wahrscheinlichkeit von Fehlinterpretationen zu senken, sollten Interviewer (aber auch alle anderen Menschen) einzelne nonverbale Signale immer in Verbindung mit weiteren Beobachtungen beurteilen und sich ihrer eigenen Körpersprache bewusst sein. Denn für Interviewer gilt dasselbe wie für ihre Gesprächspartner. Sie sollten sich, um eine möglichst offene Interviewatmosphäre zu fördern, verbal und nonverbal möglichst offen mitteilen.
Positiv denken
Aber bitte nicht schauspielern. Das kann Gesprächspartner misstrauisch machen, ohne dass sie den Ursprung ihres Unwohlseins benennen könnten. Dann heißt es nach dem Interview vage, der Interviewer sei unsympathisch gewesen.
Interviewer, die wollen, dass ihre Gesprächspartner möglichst viel von ihren Gedanken preisgeben, sollten ihnen mit einer ehrlich positiven Einstellung begegnen. Vorschnelle, oberflächliche Interpretationen von Körpersprache wie die oben zitierten sind dafür ungeeignet.
* Mario Müller-Dofel ist Mitinitiator des Wissensportals „Alles über Interviews“.