E-Mail-Interviews: Warum Max Fellmann vom SZ-Magazin sie führt

E-Mail-Interview-Interviewführung-Max Fellmann

Über ein schriftliches Interview mit dem Historiker Yuval Harari

Im Herbst brachte das Magazin der Süddeutschen Zeitung eine Ausgabe zu Männerthemen – und der für seine starken Interviews bekannte Redakteur Max Fellmann befragte einen der weltweit aufsehenerregendsten Experten, wenn es um Vergangenheit, Gegenwart und die Prognosen für die Zukunft unserer Gesellschaft geht. Doch Fellmann saß dem israelischen Geschichtswissenschaftler Yuval Harari nicht gegenüber – sondern schickte seine Fragen per Mail. Das Ergebnis erschien in Frage-Antwort-Form – in Form eines E-Mail-Interviews. Ist das ein legitimes Interview?

Von Tim Farin*, im November 2017

E-Mail-Interviews - Max Fellmann
Cover: SZ-Magazin Nr. 38/2017

Hätten wir dieses Gespräch über E-Mail-Interviews mal lieber per Mail geführt! Aber als Autor und Mitinitiator von “Alles über Interviews” war ich natürlich der Meinung, dass ich die Technik wie sonst auch im  Griff haben würde und ein persönliches Telefonat mit Aufzeichnung, anschließender Abschrift und der gemeinsamen Autorisierung der ideale Weg wäre, um effizient an ein Interview mit Max Fellmann vom SZ-Magazin zu kommen – ein Interview, das sich mit E-Mail-Interviews beschäftigt.

Alles weg! Wie peinlich!

Doch am Ende des mehr als 25-minütigen Telefonats brach nicht nur die Verbindung ab, sondern der Laptop zusammen. Das betraf, wie ich dann feststellte, nicht nur die Verbindung, sondern auch die Aufzeichnung inklusive aller temporären Dateien. Alles weg! So also versuchte ich mich schnell an einem Gedächtnisprotokoll eines per digitaler Schalte geführten, nicht mehr aufgezeichneten Gesprächs über die Frage, wie schriftlich geführte Interviews im Journalismus laufen.

Dieses Protokoll wiederum ging Max Fellmann zum Gegenlesen (wie peinlich!) zu, wurde also gewissermaßen nochmal zu einem E-Mail-Interview, da gewisse Aspekte durch die Niederschrift aus dem lückenhaften Gedächtnis mitunter falsch oder anders als gesagt im Dokument standen. Doch gegen Fellmanns Überarbeitung hatte ich nichts einzuwenden. Hier ist nun das autorisierte Interview.

“Ich halte E-Mail-Interviews für ein sehr geeignetes Mittel”

E-Mail-Interviews - Interviewführung-Max Fellmann
Nutzt bei Interviews mit Autoren gern E-Mails: SZ-Magazin-Redakteur Max Fellmann. (Foto: Privat)

Tim Farin: Herr Fellmann, Sie haben den israelischen Historiker Yuval Harari als Interviewpartner für das SZ-Magazin angefragt. Wann war klar, dass es ein Interview per E-Mail geben würde?
Max Fellmann: Das war relativ bald klar. Sein deutscher Verlag hatte angedeutet, ein Besuch bei ihm in Israel sei vielleicht möglich, aber ein Interview per E-Mail wäre ihm doch sehr viel lieber. Wozu also ein immenser Aufwand, wenn nicht klar ist, ob der Mann am Ende überhaupt Lust auf ein persönliches Gespräch hat? Er fühlt sich mit dem geschriebenen Wort wohler, also bitte.

Mussten Sie erst abwägen, ob ein Interview per Mail für Sie in Ordnung wäre – oder haben Sie sich direkt darauf eingelassen?
Das war überhaupt kein Problem. Es ist ja auch nicht so, dass E-Mail-Interviews vollkommen ungewöhnlich wären. Ich halte das sogar für ein sehr geeignetes Mittel, wenn es darum geht, sich mit Experten über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse auszutauschen und populärwissenschaftliche Sachverhalte zu diskutieren. Vor allem finde ich E-Mail-Interviews sinnvoll, wenn ich mit Menschen zu tun habe, die beruflich schreiben und deren Stärke im Formulieren liegt.

Also sollten wir hier das Gespräch unterbrechen und ich Ihnen eine Mail schicken…
Mal sehen, wir können ja immer noch abbrechen. Im Ernst: Wie im Fall von Yuval Harari spricht doch gar nichts dagegen, dass ich als Journalist aufschreibe, was mich interessiert und der Autor sich in Ruhe über die ausformulierten Antworten Gedanken macht – zumal er eben sehr pointiert schreibt. Man macht es sich als Journalist und den Interviewpartnern doch nur komplizierter, wenn man etwa Schriftsteller, Philosophen oder Wissenschaftlern mündlich befragt und die dann beim Autorisieren den halben Text ändern müssen.

 

“Ich habe einen ganzen Strauß an Fragen geschickt, sodass Harari sehen konnte, was mich interessiert.”

 

Also haben Sie als Journalist weniger Arbeit?
Das würde ich so nicht unbedingt sagen. Die Arbeit ist nur eine andere als das Formulieren der Antworten. Ich muss ja trotzdem genauso im Thema stecken, meine Fragen formulieren und auch im Austausch mit dem Interviewpartner den Text entwickeln

Wenn wir auf Ihr Interview mit Yuval Harari schauen, wie lief das praktisch ab: Haben Sie die Fragen nacheinander geschickt – oder gleich eine ganze Reihe Fragen übermittelt?
Ich habe da direkt einen ganzen Strauß an Fragen geschickt, sodass Harari sehen konnte, was mich interessiert und auf welche Aspekte er besonders gute Antworten geben könnte.

Unter Journalisten gibt es ja oft beinahe allergische Reaktionen, wenn sie die Fragen vorab schicken sollen. Geht Ihnen das nicht so?
Nein, vor allem hängt es doch vom Gesprächspartner ab. Natürlich übermittelt man als Journalist die Fragen nicht vorab im Detail, wenn es um investigative Erkenntnisse geht oder wenn man den Gesprächspartner mit einer bestimmten Vorhaltung überraschen möchte. Aber im Dialog mit einem Experten wie Harari war die Ausgangslage ja eine ganz andere.

E-Mail-Interviews - Yuval-Harari
Homo Deus: Aktueller Bestseller von E-Mail-Interviewpartner Yuval Harari (Bild: C. H. Beck)

In Ihrem Harari-Interview steht folgende Passage: „Man schickt ihm also Fragen, er nimmt sich einzelne, beantwortet sie, gerät dabei in Fahrt, man schickt ihm weitere Fragen, er fasst sie zusammen, schreibt weiter – schließlich entsteht so ein Dialog, der fast ein Essay ist.“ Kränkt es nicht Ihre journalistische Eitelkeit, wenn der Gesprächspartner einfach Ihre Fragen umformuliert oder zusammenfasst?
Auch das sehe ich nicht kritisch. Der Austausch mit Harari war ein Sonderfall. Was sollte ich dagegen haben, wenn er meine Fragen umbaut oder neu kombiniert, damit am Ende ein spannenderer Text herauskommt?

Sie haben selbst geschrieben: Der Text ist beinahe ein Essay. Warum steht dennoch Interview drüber?
Ich hätte es nicht richtig gefunden, wenn ein Wissenschaftler, der üblicherweise selbstständig formuliert, auf Grundlage meiner Fragen einen Text schreibt – und ich dann „Essay von Yuval Harari“ darüberschreibe. Es ist ja etwas anderes, auf Fragen eines Journalisten zu antworten als völlig frei einen Essay zu formulieren.

 

“Das ist jetzt nicht der Rhythmus eines Gesprächs, das ist sehr wenig Frageanteil.”

 

Üblicherweise gilt ja, dass beim Interview zwei Menschen andes als bei E-Mail-Interviews aufeinandertreffen oder miteinander sprechen, der eine fragt, der andere antwortet…
Das ist die häufigste Verwendung des Begriffs Interview, ja. Deshalb habe ich in der gedruckten Fassung gleich am Anfang erklärt, womit es der Leser in diesem Fall zu tun hat.

Wie konnten Sie prüfen, dass Harari sich nicht einfach aus Texten auf seinem Computer bedient hat, die er für Konferenzen, Essays und Bücher vorbereitet hatte?
Das kann in der Tat passieren. Aber das können Sie auch in einem persönlichen Gespräch nicht verhindern. Sie kennen das ja auch aus Talkshows. Wenn sich etwa Markus Lanz vorbeugt und zu einem Autor sagt: „In Ihrem neuen Buch schreiben Sie…“, worauf der Autor natürlich ein Beispiel bringt, das er auch im Buch genauso genannt hat. Aber das ist ja in Ordnung, denn diese Figuren oder Ideen sind ja auch die Schöpfungen, die das Werk des Autors besonders spannend machen – die können also im Interview auch gerne nochmal aufgenommen werden. Yuval Harari hat in diesem Interview sehr prägnante Beispiele genannt, etwa das Gedankenspiel, wie es wäre, wenn die Menschen viel älter würden und ein 123 Jahre alter Mao über China regieren würde. Das kommt in seinem Buch „Homo Deus“ vor, aber das ist ja auch für ein Interview ein sehr greifbares Bild.

Wenn ein antwortender Autor frei formulieren kann, gibt es ein praktisches Problem: Die Antworten können sehr lang ausfallen. Wie war das in diesem Fall?
Die Antworten sind schon sehr umfangreich gewesen, Harari hat viel formuliert und zusammengebaut. Das sehen Sie auch im fertigen Text. Das ist jetzt nicht der Rhythmus eines Gesprächs, da ist sehr wenig Frageanteil. Ich musste auch noch deutlich kürzen. Ich schätze, das Manuskript war zwischenzeitig etwa doppelt so lang wie am Ende im Magazin.

Wie sehr haben Sie eingegriffen?
Ich habe vom Englischen ins Deutsche übersetzt, wobei es natürlich immer darum geht, entsprechende Formulierungen zu finden. Aber beim Inhalt habe ich keine Pointierungen betreiben müssen, das kann Harari natürlich selbst, deswegen war es ja auch richtig, ihn auf diese Weise zu interviewen. Am Ende ging es um Auswahl und Kürzen, was aber bei mündlich geführten Interviews auch dazugehört und oft lange dauert.

 

“Wenn ich Widersprüche sehen oder Typen erleben will, brauche ich das persönliche Aufeinandertreffen – keine E-Mail-Interviews.”

 

Wie war es denn mit der Autorisierung des E-Mailinterviews?
Der Vorteil an per Mail geführten Interviews ist, dass ja im Voraus bereits klar ist, wie sich der Interviewpartner ausdrückt und wozu er sich äußert. Daher gibt es hier keine unterschiedlichen Meinungen. Darum wünschen sich Experten in besonders komplizierten Forschungsbereichen oft E-Mail-Interviews, denn sie können dann sicher sein, dass sie korrekt wiedergegeben werden.

Verraten Sie mir, wie viel Zeit vom Versenden der ersten Frage bis zum fertigen Text beim Interview mit Yuval Harari verstrich?
Das waren ungefähr vier Wochen.

Wenn Sie es verallgemeinern: Wann würden Sie als Journalist lieber kein E-Mail-Interview führen?
Das hängt vor allem von der Person ab. Wenn ich einen Gesprächspartner habe, bei dem es über den Inhalt der Worte hinaus darum geht, wie er sich sonst so gibt, dann ist das persönliche Gespräch natürlich die bessere Idee. Nehmen Sie Mick Jagger, ganz plakatives Beispiel. Da wollen Sie ja sehen, wie er sich benimmt, während er die Fragen beantwortet. Aber das ist bei Interviews zu eher wissenschaftlichen Themen gar nicht so wichtig. Wenn es um die Person geht, wenn ich Widersprüche sehen oder einen Typen erleben will, dann brauche ich natürlich das persönliche Aufeinandertreffen.

Vielen Dank.

Tim Farin ist Mitinitiator des Wissensportals “Alles über Interviews”.